Transparente Strukturen
Neue Zeichnungen von Anton Kirchmair
in seinem Untergangkofener Atelier
Unter dem Titel "Frühe Häuser" stellt Anton Kirchmair nun wie-
der eigene Arbeiten im Untergangkofener Atelier Kirchmair aus.
Völlig abstrakt mit Hilfe eines Spans entstanden, schließen die Arbeiten direkt an seine "Bambusbilder" vom letzten Jahr an.
Doch im Gegensatz zu - oder in der Weiterführung von - den
geradlinigen Formen der früheren Arbeiten, erreichen diese - wenngleich ebenso abstrakt und als reine Strukturalismen entstanden - eine gewisse Körperhaftigkeit. Und durch diese Rundheit, durch das Umfassen, das durch die aneinander-
gefügten Kreis- und ellipsoiden Bahnen suggeriert wird, ent-
steht eine weitere Bedeutungsebene. Die entstandenen For-
men wirken völlig geschlossen und sehr organisch, erinnern
an knöcherne Brustkörbe, an Rüssel und Schläuche, an innere Organe, Herzen, Lebern und vieles mehr, nicht zuletzt durch
das Durchscheinen der übermalten Strukturen, die das Gan-
ze so räumlich wirken läßt.
Vor allem aber es es das Kokonhafte, also die Geschlossene, Abgekapselte, das Gefäßhafte, was denn auch zurückführt auf
den Titel "Frühe Häuser". Ist doch der Kokon eine der ältesten
und ursprünglichsten Formen von Behausung. Auch lassen sich Strukturen erkennen, die an frühe Kragkuppelbauten denken
lassen und solche, die in ihren Reihungen und Verzahnungen
an aus Zweigen errichtete archaische Hirtenbehausungen
erinnern - oder an hauchdünne papierene Wespennester.
Doch letztlich sind es nicht die Assoziationen, ist es auch nicht
das individuelle Ergebnis, das den Künstler interessiert, sondern
die abstrakte, auch ornamentale Methode, mit der er Ring für
Ring übereinanderlegt. Es ist ein aufbauendes, additives Ver-fahren, wie es auch vom Maurer beim Hausbau angewandt
wird. Und es ist die Wiederholbarkeit des Vorgangs, die in
erster Linie für Kirchmair zählt.
Ausgehend von dem, anfangs als dicker Steg auf das Papier gebrachten, Farbmaterial, arbeitet sich der Künstler Ring um
Ring auf dem Blatt vorwärts, wobei der benutzte Span die vorhandene Farbmasse ausstreicht und mit der jeweils näch-
sten Lage wieder überstreicht. Wo sich die untere und obere
Lage überschneiden, kommt es zu höchst transparenten Erscheinungen, wenn die unteren, meist gegenläufigen Halb-
kreise durch die Rippen der oberen hindurchschimmern.
Zusätzlich zu den Zeichnungen an den Wänden, hat Anton Kirchmair mitten im Raum eine Installation angebracht... - auf
dem Boden und unter Zuhilfenahme desselben. Unter dem Titel
"La Strada" führt ein Schotterweg durch die Dielen der Galerie,
die dafür eigens aufgebrochen wurden. Rippenförmig führen papierene Tunnel, also tonnengewölbte Gänge, zu beiden Sei-
ten von der "Straße" weg. In den Farben der Zeichnungen
-einem matten, trockenenDunkelgrau für den Schotter und der Eierschalenfarbe der Röhren rundet diese Installation - quasi
als Tüpfelchen auf dem i - das Konzept dieser ausgezeich-
neten Ausstellung ab.....
Anke Humpeneder, Landshuter Zeitung, 20. Juni 1994