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Linienspiele



Anton Kirchmairs graphisches Werk versteht sich als ein Anarbeiten gegen Bildformen, die sich aus dem gespeicherten Formenvorrat nach vorne drängen, gegen Bilder, die an die Erfahrung gekoppelte Bezugssysteme herstellen, kurz: gegen die bekannte Form. Daher enthalten seine Blätter keine Informationen, beschreiben nichts und erfüllen keine Funktion als Bedeutungsträger.

Mit unterschiedlichen Verfahren versucht Kirchmair seit fast drei Jahrzehnten, die Intentionalität zunächst aus der Malerei und dann aus der Zeichnung und den druckgraphischen Spielarten auszutreiben. Jede seiner Techniken, die Zeichnung und die Monotypie, die Radierung, den Holzdruck und die Lithographie, überprüfte er in intensiver Auseinandersetzung mit ihren innewohnenden Bedingungen und ihren Gerätschaften auf seine Ziele hin und optimierte sein Handwerkszeug und seine Arbeitsweise: In der Malerei experimentierte er mit Körpergesten, in den Zeichnungen mit einem Automatismus der Hand und mit verbundenen Augen. Indem er den Bleistift dabei springen ließ, führte er den objektiven Zufall ein. Im Holzdruck ersetzte er das Schneiden einer Form durch die Aleatorik des Würfelns von Holzstäbchen.


Dabei entstehen heute – je nach Technik - Blätter mit fragilen Linienstrukturen, die der ganz „spezifischen, leicht bogenförmigen und sich in vielerlei Überschneidungen überlagernden Linearität“ verwandt scheinen, die der Künstler auf seinen Wanderungen in der Natur aufnimmt und die als solchermaßen hinterlegte Bilder ihren Weg aufs Blatt finden. Die Linienbündel und skripturalen Netze ordnen sich nicht zu großen Kompositionen, sondern bilden kleine fragmentarische Formen - Linienspiele, die in ihrer Balance von Spontaneität und schwebender Leichtigkeit, von Heiterkeit und Kraft Gedanken an fernöstliche Schriftzeichen evozieren. Obwohl die gezeichneten, gewürfelten oder gekratzten Zeichenspuren Kirchmairs in der Raschheit ihrer Entstehung, der ausgeprägten Handschrift, dem Verzicht auf jegliche Ausschmückung und der Fragilität ihrer Erscheinung die wesentlichen Kriterien einer Skizze aufweisen, ist die Gültigkeit des ersten Versuchs integrativer Teil seiner Kunst. Vorzeichnungen oder Änderungen gibt es nicht.







Daher erfordert sein Arbeiten ein hohes Maß an Konzentration, eine meditative Gefasstheit, das die vorbereitende Zeremonie braucht, um den Künstler zurück in einen Zustand der Unschuld zu bringen und vom künstlerischen Kalkül, von Außeneinflüssen, ja selbst vom bewussten Denken frei zu machen. Kirchmair räumt damit als Künstlersubjekt den Platz für etwas, das außerhalb seiner Individualität liegt und versucht, nur noch Aufnehmender, Seismograph und Resonanzkörper zu sein. „Die höchste Absicht ist, keine Absicht zu haben“, so hat schon John Cage dieses Ziel formuliert. „Das stellt einen in Einklang mit der Natur und der Art ihres Vorgehens.“


Den Betrachter indes fordern seine Arbeiten mehr als jene, die einem Künstlersubjekt entspringen und als solche vorformuliert sind. Es gelingt nicht, die bildlichen Elemente Kirchmairs inhaltlich zu besetzen, sie sind weder  Gegenstand noch Symbol oder Zeichen. Daher lenken seine Bilder den Betrachter nicht suggestiv, sondern beziehen ihn als Dialogpartner in ihre Ereignisstruktur mit ein. Jedes Betrachterauge zeitigt diese Bilder neu, die Strukturen, die Kirchmair vorgibt, muss es selbsttätig vollenden. So sind die Werke Kirchmairs Gegenbilder des Seins, damit sich der Betrachter in der Welt entdeckt, bestimmt und entwirft.



Anke Humpeneder-Graf



Anton Kirchmair: Wintersonnen – In: Landstrich 20. An Grenzen, Schärding 2004, S. 88-91

John Cage: Silence. Frankfurt a. Main 1995, S. 82
















Anke Humpeneder