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»buchstäblich unbeschwert«  – Ballastabwurf in Grenzgebieten des Unwägbaren  -  Franz Niehoff




                      Kirchmairs buchstäbliche1 Experimente und unbe-schwerte Rituale erstellen in der Landshuter Heiliggeistkirche eine neue und andersartige Ausstattung. Damit fordern sie das Publikum zum mehrfachen Positionswechsel heraus. Was kann der Betrachter diesem ›buchstäblich unbeschwerten‹ Skulpturen-ensemble auf der Mittelachse der spätgotischen Hallenkirche ent-nehmen?


Beschreibung: Das Mittelschiff von Heiliggeist erhält durch die Installation von Anton Kirchmair eine durch den Ort inspirierte zeitlich begrenzte Ausstattung. Mit Blick von West nach Ost in-stallieren die vier Raumobjekte Buchenstab für Buchenstab bild-nerische Rituale der Leichtigkeit. Sie entstanden in der Reihen-folge: Objekt 3, Objekt 2, Objekt 1 und Objekt 4. Mit den in die-sem Essay verwendeten Bezeichnungen für die vier Elemente sollen die verschiedenen Facetten und die Vielfalt ihrer Bezüge umschreibend verdeutlicht werden.


Objekt 1: Eingangs versperrt ein hoher und breiter Sockel den Zugang zum einstigen Prozessionsweg inmitten der ehemaligen Spitalkirche. In vier Reihen mit jeweils acht Elementen arrangiert Kirchmair auf weißem Präsentationspodest verschiedenartige, stuhlähnliche Gebilde aus dünnen Holzkohlestäben in Miniatur-form. Es handelt sich um eine Art visionären ›Möblierungsvor-schlag‹ für den nicht mehr primär sakralen Funktionen dienenden Kirchenraum. Ihre zeilenhafte Aufstellung vermittelt dieser räum-lichen Kalligraphie übergreifende Ordnung bei unbestimmter Fragilität.


Objekt 2: Zwei aufrecht stehende gebogene ›Holzbalken‹ folgen auf dem Weg von Westen nach Osten. Diagonal, im Abstand von zwei Handspannen zueinander aufgestellt, sind die beiden gebo-genen, einander zugewandten ›Buchenstangen‹ derart verortet, daß sich bei ihrem Umschreiten wechselnde Konstellationen der Durchsicht auf den lichten, weißen Raum – samt den wenigen in die Installation einbezogenen Ausstattungselementen – ergeben.



Objekt 3: Leicht aus der Mitte nach Norden gerückt ragt als drittes Element in dem seit einigen Jahren üblicherweise unmöb-lierten Kirchenschiff eine monumentale Installation aus säge-rauhem Buchenholz empor. Gleich einem in den spätgotischen Säulenwald importierten Horst ragen ›Buchenbalken‹ aus dickichtartiger Bodenkomposition in lichtere Höhe. Tritt zunächst für den Betrachter im unteren Teil der Konstruktion eine materielle Undurchschaubarkeit hervor, so gibt sich auf den zweiten Blick die Komposition als aus Hohlelementen bestehend zu erkennen. Dadurch rücken Fragen zur Statik des rätselhaften Gefüges ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Was ist zu erkennen? Die ›Vierkantrohre‹ bilden Winkel oder Scheren, ergeben Stelzen oder Spangen, wirken wie umge-fallene Segel, Querschnitte durch einen Schiffsbug, fragmen-tiertes Strebewerk oder erinnern gar an Elemente einer Turbine. Der Betrachter glaubt, aufragende Böcke oder Stelzen ausma-chen zu können, in denen sich eine Holzwerkstatt andeutet. Hoch oben ergäbe sich – für dieses Gedankenexperiment – eine imagi-näre Arbeitsfläche, auf der zwei lange Buchenstangen seitwärts überstehen und nach Verarbeitung rufen. Noch darüber – auf zweiter Etage – liegen zwei weitaus kürzere, krumme, mit zahl-reichen kurzen Endstücken ›aufgebahrte‹ beziehungsweise her-vorgehobene Präsentationselemente: gleichsam auf buchenen Fingerspitzen ruhend und von Ballast befreit, ohne aber gleich schon zu schweben. Mit ihren zahlreichen nach unten gerichteten Kopfstücken wirken sie wie emporgehobene Votivgaben. Die selbsttragende Gesamtkonstruktion stemmt sich der Schwerkraft entgegen und endet auf halber Höhe im Luftraum von Heiliggeist.


Objekt 4: Ein weiterer Baustein der Installation markiert den Ort des gotischen Hochaltares vor der freistehenden Säule auf der Mittelachse der Kirche. An dem in angestammter Altarposition aufgestellten Stellwandblock sind im oberen Teil – vorne und an beiden Seiten – insgesamt 31 Holzkohlebrettchen montiert. Sie liegen nur auf dünnen Buchendübeln auf. Gleich einem Altarre-tabel rückt dieses federleichte Arrangement auf der Blickachse ins Zentrum. Der Aufbauprozeß legt rückblickend die Vermutung nahe, daß es lange gar nicht geplant war: Daß gerade dieses Element der vierteiligen Installation buchstäblich als unbe-schwerter Schlußakzent fungiert, deutet zugleich das spielerische Potential der Inszenierung an.


Ortszeit: Für ortsbezogene Installationen gleicht die Ausstel-lungsdauer einem medialen Lagerfeuer. In der anschwellenden Fülle und Vielfalt der Auseinandersetzungen, in anschauungs-satten Gedankenspielen und -spiralen gibt sich der öffentliche Diskurswert des jeweiligen Werkes zu erkennen, welcher sich aber letztlich darin keineswegs verbraucht. Mit dem Abbau wan-dert das Werkgeschehen als Konserve in andere Medien wie Fotografie und Internet. Folgen wir dem von Kirchmair insze-nierten Wandel des Werkmaterials ›Buchenholz‹ durch seine Metamorphose von Anfang an, dann gilt es, episodenhaft zu betrachten, wie er das ›Buchenthema‹ verarbeitet hat und damit ein Beispiel für seinen Weg einer ›Skulptur der Nachhaltigkeit‹ mit möglichst geringem spezifischem Gewicht abgibt.




I. Entwicklungsgeschichte und Herstellungsablauf


Kirchmair als Leser: Wann setzt die Geschichte dieser krum-men Linien einer räumlichen ›Buchenschrift‹ für den vom Künst-ler als demokratische Architektur empfundenen Hallenkirchen-raum in Landshut eigentlich ein?


Rein zufällig lag bei meinem Besuch am Waldrand von March-häuser Anfang 2006 »Die Vermessung der Welt« von Daniel Kehlmann auf der Fensterbank. Vielleicht weil ihn die Literatur-kritik als ›Literatur der Leichtigkeit‹ rubrizierte? Eine Einordnung, welche Kehlmanns Ironie und Humor in der Schilderung von Klassikern zutreffend erkennt. Wie um Ordnung zu schaffen läßt Kehlmann seinen Alexander von Humboldt, im Gespräch mit einem Hund, äußern: Nichts sei zuverlässig [...] Die Tabellen nicht, die Geräte nicht, nicht einmal der Himmel. Man müsse selbst so genau sein, daß einem die Unordnung nichts anhaben könnte.2


Was muß schon erfahren worden sein, damit einem die Unord-nung nichts mehr anhaben kann? Kirchmairs Weg zum ›Unbe-schwertsein‹ begann – so der Eindruck in erkundenden Gesprä-chen – ein weites Stück früher als für den direkten Kontext er-kennbar. Neben allen Erfahrungen und Erlebnissen des Künstlers hat ihn seine regelmäßige Nietzsche-Lektüre besonders beein-druckt. Unter den zahlreichen Büchern für Kirchmairs bildne-rische Imaginationen dieser Buchenarbeiten ragt – so scheint es – eines heraus: Gemeint ist der »Zarathustra« von Friedrich Nietzsche, der auf Grund seiner wunderbaren Sprache (Kirchmair), durch die Dialektik von Gut und Böse und insbe-sondere durch den herausfordernden Geist der Schwere sowie das vielfältige Liedgut des ruhelosen Wanderers Kirchmairs Interesse auf sich zieht.3


Womöglich bestehen zwischen der Unbeschwertheit der Instal-lation und Nietzsches Wanderer buchstäbliche Verbindungen. Greifbar scheint dieses beispielsweise, als Zarathustra einem Jüngling die menschenformenden Gewalten mit Hinweis auf den ›Baum am Berg‹ anschaulich nahezubringen versucht: Aber der Wind, den wir nicht sehen, der quält und biegt ihn [sc. den Baum], wohin er will. Wir werden am schlimmsten von unsicht-baren Händen gebogen und gequält. (S. 43) – Der Schaffens-drang wird zur Weltbewältigung: Schaffen – das ist die große Erlösung vom Leiden, und des Lebens Leichtwerden. Aber daß der Schaffende sei, dazu selber tut Leid not und viel Verwande-lung. (S. 91 f.) – Als zentrales Gegenüber für Zarathustra pro-filiert sich der Geist der Schwere: Alles Gerade lügt, murmelte verächtlich der Zwerg. Alle Wahrheit ist krumm, die Zeit selber ist ein Kreis. – Du Geist der Schwere! sprach ich zürnend, mache es dir nicht zu leicht! Oder ich lasse dich hocken, wo du hockst, Lahmfuß, – und ich trug dich hoch! (S. 173). – Immer wieder ist es dieser Geist der Schwere, den Zarathustra mit flinken Gedan-kenflügen nach Vogelart umkreist: Wer die Menschen einst fliegen lehrt, der hat alle Grenzsteine verrückt; alle Grenzsteine selber werden ihm in die Luft fliegen, die Erde wird er neu taufen – als ‘die Leichte’ (S. 213). – Die Auswahl aus dieser Fundgrube für ein tieferes Verständnis des ›buchstäblich unbeschwerten‹ als Movens der Installation von Kirchmair soll schließlich der Hinweis auf das »Tanzlied« im Zarathustra abrunden: Gottes Fürsprecher bin ich vor dem Teufel: der aber ist der Geist der Schwere. Wie sollte ich, ihr Leichten, göttlichen Tänzen feind sein? (S. 116)4


Eine Rotbuche vom Dreisesselberg: Kirchmair selbst suchte die widerstandsfeste Bergbuche aus, welche bis 2005 über gut zwei Jahrhunderte in der Waldeinsamkeit am Dreisesselberg in tausend Meter Höhe zum Licht wuchs. Kirchmairs Lebenswelt, Marchhäuser, das ist ein Ort ›inmitten‹ des Bayerischen Waldes. In diesem vornationalstaatlichen Grenzraum fand eine eigene Prägung statt, bildeten sich eigene Charaktere aus. Hier in der Waldeinsamkeit hören Menschen viel und tief in sich hinein. Um wirklich nach Bayern zu kommen, empfiehlt Bruno Jonas die Einreise über das nahe gelegene Philippsreut.5 Bei seiner als neuen Patriotismus gefeierten Wanderung entlang der Grenzen Deutschlands kam Wolfgang Büscher nur bis in das wenige Kilometer entfernt gelegene Hinterfirmiansreut.6 Auch Büschers Bericht aus dem kristallinen Zauber des Schneewaldes legt nahe: Irgendwie scheint hier die Welt zu Ende zu gehen, und doch ist alles wie immer nur eine Frage der Perspektive: Hier, nur wenige Kilometer hinter der europäischen Hauptwasserscheide, liegt das Quell- und Ursprungsgebiet der kalten Moldau, welche sich ein gutes Stück vor dem von Adalbert Stifter beschriebenen einstigen Moldauherz mit der warmen Moldau vereint. Diese Waldlandschaft ist seit einigen Jahren die emotionale Heimat Anton Kirchmairs.


Wie eine jede Landschaft hat auch der Bayerische Wald7 seine Sagen und Märchen, beispielsweise um die Holzfäller und ihr Arbeitsgerät.8 Vor allem scheint von Belang: Der Stamm, aus dem das Buchenholz für die ›Linienskulptur‹ stammt, hat seine unverwechselbare Heimatgeschichte, in der er tief verwurzelt war. Die Fällung machte ihn reisefertig, flexibel, ja, nomadisch.9 Kirchmairs selbstdefinierte Aufgabe besteht unter anderem darin, die regionale Geschichte dieses schweren Nutzholzes zu erfor-schen. Seine Erkenntnisgewinne erleichtern und fördern seine Gestaltfindung. Auf überraschende Weise befreit er den Baum des Waldes von manchen Ballaststoffen10 des historisch ge-wachsenen Gemütshaushaltes der Deutschen.11 (Abb. 1)


Vom aufgefächerten Stamm zum krummen Rohr: Hier gelangen wir an eine wichtige Schwelle in der Kirchmairschen Lebenskunst des Ballastabwerfens. Der Buchenstamm wurde im Sägewerk in lange, nur sechs Millimeter dünne Brettfurniere ge-schnitten beziehungsweise aufgefächert und sägerauh belassen. Zugleich wurde ihre Trocknung als mitformender, dialogischer Faktor akzeptiert. Ihre gekrümmte, individuelle Form wider-spricht allem Zweckmäßigen und Handwerksgerechten; läuft der heutigen handwerklichen Norm des rechten Winkels entgegen. Schließlich wurden diese Bretter in der Schreinerei zu Rohren mit perfekt auf Gehrung geschnittenen rechtwinkligen Profilen zu-sammengeleimt. Mit dieser Verwertung des Bergbuchenstammes wurde er dem klassischen Verfahrensweg der Nutzbarmachung entzogen. Diese Vierkantrohre bilden einen zahlenmäßig be-grenzten Bausatz von individuellen Elementen der Skulptur.


Handwerksarbeit: Das ganze Konzept der Entnormung von ge-wohnten Schneidemaßen, der Pfad der Verweigerung gegenüber dem rechten Winkel sowie die dadurch für alles Anschließende vorbestimmte Gangart über selbsterzeugte Hindernisse im Hand-werk der Zusammenfügung scheint dem Weltbild des heutigen Schreiners zu widersprechen. Zugleich verlangt die selbsttragen-de Aufstellung derartiger Holzskulpturen eine Höchstform an ak--kurater handwerklicher Verarbeitung. Hierfür legt den einzig tragfähigen Grund gewachsenes Vertrauen zwischen Konzepteur und Handwerker. Diese Voraussetzung fand Kirchmair im orts-ansässigen Schreinerbetrieb. Hier wirkt das traditionelle Leitbild der ›Innungskunst‹ ungebrochen zukunftsweisend. Handgemacht – ›manufactum‹ – sind nicht nur die Balken, sondern auch die selbsttragende Konstruktion mit ihren handwerksgerechten Scharnieren im Zusammenspiel von Zufall und Perfektion. Auch dieses Zusammenbringen lebt von der in überkommener Werk-stattüberlieferung gespeicherten Erfahrung, wie sie auch zu Zeiten der Kathedralen in den Bauhütten herrschte.


Heimatgedanken in der Weltprovinz: Zwischen Handwerk-lichkeit, Heimatbewußtsein und ästhetischem Aufbruch trägt die In-stallation »buchstäblich unbeschwert« zur Intensivierung des Austausches zwischen Region und Welt bei. Der bekannten Frage Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? rückt dabei in for-melhafter Umkehrung eine komplementäre Frage an die Seite: Wieviel Verwurzelung benötigt der Mensch?12 Derartige Wech-selbeziehungen sind – bezogen auf die Kunstregion des nieder-bayerischen Landshut – vielfältig. Eine Art Märchentraum ging für den Landshuter Künstler Fritz Koenig mit der New Yorker Kugel-karyatide in Erfüllung: Fast drei Dekaden stand der bron-zene ›Schädel‹ zu Füßen der beiden Türme des World Trade Center. Mit den katastrophalen Ereignissen des 9/11 wurde dieses Aben-teuer zum Alptraum. Und doch dreht sich das Rad der Fortuna für das Verhältnis von Welt und Provinz notwendigerweise weiter.13


Als weiteres Beispiel für diesen Dialog dient der Komet unter den gegenwärtigen Künstlern der Region: der aus Velden stammende Michael Sailstorfer. Er vermittelt dieser Spannung von Heimat und Welt, von Weltraum und Hütte, in seinem noch jungen Werk kraftvollen Ausdruck (Abb. 2 und  3).14 Neben derartige ›Aus-wärtsspiele‹ tritt das ›Heimspiel‹, welches im übertragenen Sinne als Verständnisebene für die Wechselbeziehungen zwischen der zeitgenössischen Kunst in der Lebenswelt und dem Impulsfeuer durch die medial vermittelte Weltregion vor Ort dient.15 Anton Kirchmair tritt mit seiner »Landshuter Installation« ein derartiges Heimspiel an: Ortsbezogenheit, heimische Materialien und Kunst-dialoge vor Ort markieren Facetten einer herausfordernden In-stallation, die sich darüber hinaus mit der Umwelt und Wertefra-gen beschäftigt.


II. Ortsbezogene Dialoge


Rippengedanken: 2005 entdeckte der Graphiker Kirchmair in der Konstruktion der spätgotischen Landshuter Heiliggeistkirche eine Vielfalt von Analogien zur Kunst der Graphik.16 Hinzu ver-mittelten die weitverbreiteten Zeichnungen David Macaulays Kirchmair überzeugende Anschaulichkeit für sein Verständnis der optischen Skelett- Architektur des Hans von Burghausen.17 Trotz der Ermöglichung neuer Gestaltungsfreiheiten im gotischen Gewölbe-bau zwingt die Statik jedem steinernen Bauelement der goti-schen Rippe ihre Form auf: Jedem einzelnen Element einer Ge-wölberippe wird über dem fliegenden Gerüst ein fester, nicht austauschbarer Platz angewiesen (Abb. 4).18


Bei seinen Überlegungen zur ›Dreisesselskulptur‹ für Heiliggeist entwickelte Kirchmair eine private Theorie der gotischen Rippe, ihrer Entstehung und Geschichte samt ihren Funktionsformen. Diese Gedanken über die Rippe als Linie wirkten als Impulsgeber für die Umsetzung seiner Graphik im Raume der Architektur. Gemäß dieser Analogie entstanden – aufbauend auf langjährigen Erfahrungen mit Pappelholzskulpturen – individuelle Rippen aus dünnen Buchenbrettern. Der Tragbarkeit einer Skulptur kommt im Werk Kirchmairs ein eigener Rang zu: Für Kirchmair muß jede Skulptur im wirklichen Sinn tragbar sein. Folglich ist jede der Hohlskulpturen so leicht, daß die längsten von ihnen, immerhin 630 cm, unverkrampft mit einer Hand getragen werden könnten. Es bedarf eigener ›Ökonomie der Aufmerksamkeit‹, um diese derart unökonomisch erstellten Raumlinien in ihrer grundlegen-den Eigenart zu erfassen.19 Jeder in der Konstruktionswelt der Orthostaten verwurzelte Architekt reibt sich wohl bei der Nach-zeichnung verwundert die Augen, wenn die gewohnten Berech-nungsgrundlagen und Zeichengeräte ihren Dienst versagen.20


Ortsspezifische Installationen: Kirchmairs plastisch-räumliche ›Buchengraphik‹ entstand für den gotischen Hallenraum in Landshut, der seit wenigen Jahren als urbane Versuchswerkstatt für bildnerische Experimente zur Verfügung steht; für Versuche, die weltläufig ›Installationen‹ genannt werden.21 Verschiedene Bildhauer, Maler und Konzeptkünstler setzten sich bislang mit diesem lichten, leeren und weißen Raum auseinander.22 Nach und nach liefert die Hallenkirche somit den Beweis ihrer Wand-lungsfähigkeit (Abb. 5). Raumgestaltende Künstler setzen im Dialog mit diesem Raum stetig weitere Potentiale frei. Hier ent-stehen moderne regionale Bilder für Gemeinschaftsereignisse, wie es sie ansonsten in dieser StadtRegion nicht gibt: Heiliggeist ist – im Sinne Hans Beltings – ein unverwechselbarer Bilderort der modernen Provinz.23

Fußnoten


1 Vgl. JULIANE REBENTISCH, Ästhetik der Installation (Edition Suhrkamp 2318; zuv. Univ. Diss. Potsdam 2002). Frankfurt a. Main 2003, S. 51–64 (Buchstäblichkeit und Bedeutung).


2 DANIEL KEHLMANN, Die Vermessung der Welt. Reinbek bei Hamburg 72005 [2005], S. 129.


3 Vgl. FRIEDRICH NIETZSCHE, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für alle und keinen. Mit einem Nachwort von ALFRED BAEUMLER (Kröners Taschenausgabe 75), Stuttgart 1975.


4 RÜDIGER SAFRANSKI, Nietzsche. Biographie seines Denkens. München _2005 [2000]; – CURT PAUL JANZ, Friedrich Nietzsche. Biographie. 3 Bde., hier Bd. 2, München 1981 [1978].


5 Vgl. BRUNO JONAS, Gebrauchsanweisung für Bayern. München 112005 [2002], S. 21.


6 Vgl. WOLFGANG BÜSCHER, Deutschland eine Reise. Berlin 2005, S. 154.


7 Siehe hierzu MARCO HEURICH/MARKUS NEUFANGER, Die Wälder des Nationalparks Bayerischer Wald. Ergebnisse der Waldinventur 2002/2003 im geschichtlichen und waldökologischen Kontext (Nationalpark Bayerischer Wald 16). Grafenau 2005; – vgl. auch CARL SCHMÖLLER/JACQUES ANDREAS VOLLAND, Bayerns Wälder. 250 Jahre Bayerische Staatsforstverwaltung. Haus der Bayerischen Geschichte (Hefte zur Bayerischen Geschichte und Kultur 27). Augsburg 2002.


8 Vgl. Sagen aus Niederbayern, gesammelt und herausgeg. von EMMI BÖCK. Regensburg 31996 [1977], S. 71–108, passim; – HUBERT ETTL (Hrsg.), Bayerischer Wald. Reise-Lesebuch. Viechtach _1997 [1993]; – Bayerische Märchen, erzählt von ALFONS SCHWEIGGERT. München 1995, S. 155–158 (›Schlagzu vom Bayerischen Wald‹).


9 Siehe hierzu ADOLF MUSCHG, Die Kunst der Teilung, in: ADOLF MUSCHG, Was ist europäisch? Reden für einen gastlichen Erdteil (Krupp-Vorlesungen zu Politik und Geschichte am Kulturwiss. Institut Nordrhein-Westfalen 5). München 2005, S. 37–66; – WALTER ZIEGLER, Die bayerisch-böhmische Grenze in der Frühen Neuzeit. Ein Beitrag zur Grenzproblematik in Mitteleuropa, in: WOLFGANG SCHMALE/REINHARD STAUBER (Hrsg.), Menschen und Grenzen in der Frühen Neuzeit (Innovationen 2). Berlin 1998, S. 116–130.


10 HANS BLUMENBERG, Lebensweltwörter: Wiederkehr der ‘Ballaststoffe’, in: HANS BLUMENBERG, Begriffe in Geschichten (Bibliothek Suhrkamp 1303). Frankfurt a. Main 1998, S. 15–17.


11 Vgl. ALBRECHT LEHMANN, Der deutsche Wald, in: ETIENNE FRANÇOIS/HAGEN SCHULZE (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte. München 2001, Bd. 3, S. 187–200; – VOLKER GEBHARDT, Das Deutsche in der deutschen Kunst. Köln 2004, S. 338–363 (Kap. 14: Gegenbild und Mythos: Der deutsche Wald); – HANS DIETER GELFERT, Was ist deutsch? Wie die Deutschen wurden, was sie sind (Becksche Reihe 1657). München 2005, S. 76–79.


12 RÜDIGER SAFRANSKI, Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? München 2003.


13 Vgl. WIELAND SCHMIED, Geprägt von unauslöschlicher Weltliebe. Laudatio auf Fritz Koenig zur Verleihung des Friedrich-Baur-Preises, in: Bayerische Akademie der Schönen Künste, Jb. 19, 2005, S. 447–452.


14 Siehe hierzu JOHAN FREDERIK HARTLE, Kosmos und Hütte. Aporien der Heimat im Werk von Michael Sailstorfer, in: Für immer war gestern (Publikation zur Ausstellung von Michael Sailstorfer in der Ursula-Blickle-Stiftung, Kraichtal 2005). Hrsg. von NICOLAUS SCHAFFHAUSEN, Nürnberg 2005, S. 65–79.


15 Vgl. hierzu BEATE REESE, Zur Ortsbestimmung der Ausstellung Heimspiel, in: Heimspiel. Zeitgenössische Kunst aus der Region (Katalog zur Ausstellung Würzburg, Museum im Kulturspeicher 2005). Bearb. von BEATE REESE, Würzburg 2005, S. 4–12.


16 Vgl. NORBERT NUSSBAUM, Die Braunauer Bürgerspitalkirche und die spätgotischen Dreistützenbauten in Bayern und Österreich. Ein raumbildnerisches Experiment des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen der Abteilung Architektur am Kunsthistorischen Institut der Universität Köln 21). Köln 1982; – NORBERT NUSSBAUM/SABINE LEPSKY, Das gotische Gewölbe. Eine Geschichte seiner Form und Konstruktion. München – Berlin 1999; – PIERRE SEMAT, Les ›églises-halles‹ histoire d’un espace sacré (XIIe-XVIIIe siècle), in: bulletin monumental 163–1, 2005.


17 Siehe hierzu DAVID MACAULAY, Sie bauten eine Kathedrale. München 91985 [1973].

18 Vgl. hierzu DIETER KIMPEL/ROBERT SUCKALE, Die Gotische Architektur in Frankreich 1130– 1270. Überarb. Studienausg., München 1995 [1985]; – GÜNTHER BINDING, Was ist Gotik? Eine Analyse der gotischen Kirchen in Frankreich, England und Deutschland 1140–1350. Darmstadt 2000, S. 83–130.


19 GEORG FRANCK, Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf (Edition Akzente). München 1998.


20 Vgl. BRUCE LINDSEY, Digital Gehry. Material Resistance – Digital Construction (The Information Technology Revolution in Architecture). Basel 2001.


21 Vgl. REBENTISCH 2003 (wie Anm. 1).


22 Vgl. Rupprecht Geiger in Heiliggeist. Morgen Rot – Abend Rot (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 2000; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 8). Landshut 2000; – Dagmar Pachtner: Überschreitung. Landshuter Installationen 1 (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 2002; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 12). Landshut 2002; – Josef Sailstorfer. Stairway. Landshuter Installationen 2 (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 2003; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 15). Landshut 2003.


23 HANS BELTING, Orte der Reflexion oder Orte der Sensation?, in: PETER NOEVER (Hrsg.), Das diskursive Museum, MAK-Symposium 2001. Ostfildern – Ruit 2001, S. 82–94.


24 Siehe hierzu HANS BLEIBRUNNER, Von 1790 bis 1990. Landshut: Aufbruch zur Gegenwart. Zwei Jahrhunderte Stadtgeschichte in Wort und Bild. Landshut 1991, S. 198 f.; – HANSKARL HORNUNG/KUNO WEBER, Das alte Landshut. Die mittelalterliche Stadt ändert ihr Gesicht. Photographien aus den Jahren 1860 bis 1914. Hrsg. vom Verkehrsverein Landshut, Riemerling 31995, S. 17.


25 HANS CAROSSA, Der Tag des jungen Arztes. Der Fialenplatz, in: HANS CAROSSA, Sämtliche Werke. Unveränd. Nachaufl. Frankfurt a. Main 1979 [1962], Bd. 2, S. 606 f., hier S. 607.


26 Vgl. GÜNTHER BINDING, Baubetrieb im Mittelalter. Darmstadt 1993, S. 427–445; – Les Bâtisseurs des cathédrales gothiques (Katalog zur Ausstellung Straßburg 1989). Hrsg. von ROLAND RECHT, Straßburg 1998, u.a. S. 74 f.


27 Vgl. FRANZ NIEHOFF, Jahrhundert(w)ende – Kulturgeschichtliche Notizen zur Fertigstellung von St. Martin, in: Vor Leinberger. Landshuter Skulptur im Zeitalter der Reichen Herzöge 1393–1503 (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche  2001; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 10). Landshut 2001, Bd. 1, S. 171–180, hier S. 177.


28 MICHAEL BAXANDALL, Die Kunst der Bildschnitzer. Tilman Riemenschneider, Veit Stoß und ihre Zeitgenossen, Frankfurt a. Main 1984 [engl. Originalausg.: New Haven [u.a.] 1980], S. 42.


29 Siehe hierzu Vor Leinberger. Landshuter Skulptur im Zeitalter der Reichen Herzöge 1393–1503 (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 2001; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 10). Landshut 2001, Bd. 2, Kat.-Nr. 83 (Palmesel) (A. KLÖPFER), Kat.-Nr. 87 (Marienkrönung) (R. KARBACHER).


30 Siehe hierzu Christian Jorhan in Heiliggeist. Zwischen Rokoko und Klassizismus. Ein altbayerischer Bildhauer im Zeitalter der Säkularisation (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 1999; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 2). Landshut 1998, Kat.-Nr. 19,1–14 (A. KLÖPFER); Kat.-Nr. 45,2–5 (A. KLÖPFER); – FRANZ NIEHOFF, Heiliggeistkirche in Landshut – Kirche und Kunst: Von der Ausstattung zur Ausstellung, in: Nichts für die Ewigkeit? Kirchengebäude zwischen Wertschätzung und Altlast. Hrsg. Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz (Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz 68), Bonn 2001, S. 69–74.


31 Siehe hierzu Skulpturen, Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg (Bestandskatalog Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg). Hrsg. von CHRISTOPH BROCKHAUS/GOTTLIEB LEINZ, Oberhausen _1992 [1991], passim; – MONIKA WAGNER/DIETMAR RÜBEL/SEBASTIAN HACKENSCHMIDT (Hrsg.), Lexikon des künstlerischen Materials. Werkstoffe der modernen Kunst von Abfall bis Zinn. München 2002, S. 145–152; – Rudolf Wachter – Tisch, Skulptur (Katalog zur Ausstellung München, Galerie an der Finkenstraße; zugl. Galerieinformation Galerie an der Finkenstraße der Deutschen Gesellschaft für Christliche Kunst 91). München 1995; – Rudolf Wachters Stammskulpturen und die Holzplastik im 20. Jahrhundert, in: Rudolf Wachter. Aus dem Stamm (Katalog zur Ausstellung München, Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung 2003). München 2003, S. 10–17.


32 Vgl. WIELAND SCHMIED, Doch der Schein trügt. Zur Eröffnung des Museums Rudolf Wachter im Neuen Schloß Kißlegg, Oberschwaben, in: Bayerische Akademie der Schönen Künste, Jb. 19, 2005, S. 485–493; – vgl. auch WOLFGANG WELSCH, Mensch und Natur, in: Rudolf Wachter. Aus dem Stamm (Katalog zur Ausstellung München,  Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung 2003). München 2003, S. 59–65.


33 L. Wigg Bäuml, Kevin Blackwell, Günther Kempf, Sergio Sommavilla, Arche im Raum. Logbuch (Publikation zur Installation Regensburg, Minoritenkirche 2002). Hrsg. von MARTIN ANGERER, Regensburg 2002.


34 Vgl. REBENTISCH 2003 (wie Anm. 1), S. 232 ff.


35 Ebd., S. 241 ff. (zum Begriff des ›Ge-Stells‹ bei Martin Heidegger).


36 HANS MAGNUS ENZENSBERGER, Leichter als Luft. Moralische Gedichte. Frankfurt a. Main 1999, S. 28.


37 Vgl. HUMPENEDER-GRAF, S. ## (in diesem Katalog).


38 Siehe hierzu HANNO-WALTER KRUFT, Geschichte der Architekturtheorie. Von der Antike bis zur Gegenwart. 3. durchges. und erg. Aufl., München 1991 [1985], Abb. 8, S. 56 f.


39 Vgl. hierzu MICHAEL IMHOF, Historistisches Fachwerk. Zur Architekturgeschichte im 19. Jahrhundert in Deutschland, Großbritannien (Old English Style), Frankreich, Österreich, der Schweiz und den USA. Univ. Diss. Bamberg 1996; – Vgl. auch GÜNTHER BINDING, Das Dachwerk auf Kirchen im deutschen Sprachraum vom Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert. München 1991; – GÜNTHER KNESCH, Ein Dach für St. Martin – Baudokumentation (Schriften des Pfarramtes St. Martin in Landshut 6). Hrsg. von dem Kirchenrestaurierungsverein St. Martin und der Kath. Kirchenstiftung St. Martin,  Landshut 2000.


40 DOMINIQUE GAUZIN-MÜLLER, Neue Wohnhäuser aus Holz. 25 internationale Beispiele. Basel [u.a.] 2004; – WOLFGANG RUSKE, Holzbau für Gewerbe, Industrie, Verwaltung. Grundlagen und Projekte. Basel [u.a.] 2004; – WILL PRYCE, Die Kunst der Holzarchitektur. Eine Weltgeschichte. Leipzig 2005.


41 Dreiecks-Verhältnisse. Architektur- und Ingenieurzeichnungen aus vier Jahrhunderten (Katalog zur Ausstellung Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum 1996; zugl. Ausstellungskataloge des Germanischen Nationalmuseums). Bearb. von WERNER BRODA, Nürnberg 1996.


42 Vgl. RUDOLF ARNHEIM, Entropie und Kunst. Ein Versuch über Unordnung und Ordnung, Köln 1979.


43 Siehe hierzu BERNHARD H.F. TAURECK, Metaphern und Gleichnisse in der Philosophie. Versuch einer kritischen Ikonologie der Philosophie (Suhrkamp- Taschenbuch Wissenschaft 1666). Frankfurt a. Main 2004.


44 Vgl. WERNER HOFMANN, Spielkartenästhetik. Das Kombinatorische in der modernen Kunst, in: WERNER HOFMANN, Tag- und Nachtträumer. Über die Kunst, die wir noch nicht haben (Edition Akzente). München 1994, S. 95–106.


45 Vgl. Mit Kalkül und Leidenschaft. Inszenierungen des Heiligen in der bayerischen Barockmalerei (Katalog zur Ausstellung Landshut, Heiliggeistkirche 2003/04; zugl. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 17). Landshut 2003/04, Bd. 2, Kat.-Nr. 35 (F. NIEHOFF).


46 Vgl. ENZENSBERGER 1999 (wie Anm. 36); – HANS MAGNUS ENZENSBERGER, Die Geschichte der Wolken. 99 Meditationen. Frankfurt a. Main 2005; – vgl. HUBERT SPIEGEL, Der Abschüttler. Hans Magnus Enzensberger und die Kunst des Ballastabwerfens, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 16. August 2003, S. 42.


47 OTTO PÄCHT, Methodisches zur kunsthistorischen Praxis. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von JÖRG OBERHAIDACHER/ARTUR ROSENAUER/GERTRAUT SCHIKOLA, München 1977, S. 187–300, Zitat S. 190 f.


48 Siehe hierzu FRANCES STONOR SAUNDERS, Wer die Zeche zahlt ... Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg. Berlin 2001.


49 Vgl. hierzu NORBERT LAMMERT (Hrsg.), Alles nur Theater? Beiträge zur Debatte über Kulturstaat und Bürgergesellschaft. Köln 2004; – UDO DI FABIO, Die Kultur der Freiheit. München 2005.


50 J. M. Sailers Rede bey Wiedereröffnung der Spitalkirche zum heiligen Geiste in Landshut, am sechsten Sonntage nach Ostern, im Jahre 1817. Landshut 1817; – ERWIN EMMERLING/DETLEF KNIPPING/FRANZ NIEHOFF (Hrsg.), Das Westportal der Heiliggeistkirche in Landshut. Ein Symposium zur Geschichte und Farbigkeit des spätgotischen Figurenportals. Symposium veranstaltet vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, der Stadt Landshut (Baureferat u

Drei Elemente des Leichtbaues von Heiliggeist: Mindestens drei Phänomene des unverstellten Hallenraumes bestimmen die Raumwahrnehmung Kirchmairs: Das helle Licht, welches schon in vergangenen Installationen für eigene Wahrnehmungen sorgte. Die schlichte, weiße Raumfarbigkeit der restaurierten Halle. Und – drittens – die Leere in Kirchenschiff und Chor, welche nach dem Ausräumen der bisherigen Kirchenbänke durch den vollstän-digen Verzicht auf die Möblierung entsteht.


Filigranes auf die Spitze getrieben: Sowohl Kirchmairs Möb-lierungsgedanke als auch seine Überlegungen zur gotischen Sta-tik kreisten um unverwendbare Holzkonstruktionen für den nicht mehr primär als Kirche genutzten Raum beziehungsweise um nicht überlieferte Leichtbaugerüste aus der Entstehungszeit von Heiliggeist.


Die Rekonstruktion der gotischen Baustellen in Landshut ist eine Herausforderung der Regionalforschung. Kirchmairs künstlerische Erkundung hierzu wäre als Dialogbeitrag durchaus von Interesse. Zur Unverwechselbarkeit der Landshuter Stadtansicht gehört die filigrane Bekrönung des Martinsturmes durch einen Kranz von Fialen aus der Zeit der Turmvollendung um 1500. Der Turm-kranz, dieses architektonische Markenzeichen, wurde um die Mit-te des 19. Jahrhunderts brüchig und mußte erneuert werden. 1874/75 errichtete der Landshuter Zimmermeister Vitztum ein Gerüst auf dem Martinsturm als Voraussetzung für die schwierige Instandsetzung (Abb. 6). Dieses ›fliegende‹ Gerüst fand sogar die Anerkennung des durchreisenden preußischen Feldmarschalls Moltke.24 Ausgewechselte Bauteile der vom Alter gezeichneten Stadtkrone wurden damals zum Andenken auf dem Hofberg auf-gestellt. Hans Carossa widmet diesem Fialenplatz einige Zeilen: [...] wenn ich bedachte, daß die hochehrwürdigen Bruchstücke, die jahrhundertelang in einer Zeit, die den Blitzableiter noch nicht kannte, Sommer um Sommer als Gipfelzierde unseres höchsten Turmes inmitten der Gewittersphäre gewohnt hatten, eines Tages wie ein zerbrochenes Vogelnest von frommen Hän-den aufgelesen und auf den Hofberg herübergehoben wurden, um hier im Schatten des kleinen heiligen Haines zu verwittern.25


Leider besitzen wir keine weiteren Hinweise auf die tatsächlichen Baugerüste aus der Erbauungszeit von St. Martin, doch mittel-alterliche Buchminiaturen helfen uns andernorts aus.26 Allenfalls einen Reflex von den ›Gerüstbildhauern‹ des Spätmittelalters vermitteln die täuschend echt wiedergegebenen Schalungsbretter im gemalten Chorfenster von St. Martin (Abb. 7).27


Von traditioneller Holzskulptur zur ›Holzleichtbau-Konstruktion‹: Kirchmair installiert seine ›Röhrenskulptur‹ im Ambiente bayerischer Holzskulptur der vergangenen Jahrhunderte: In Heiliggeist bezeugen herausragende Bildwerke die Überlieferung des handwerklich-künstlerischen Umgangs mit Holz. Über das Lindenholz als Material der Bildschnitzer um 1500 hat Michael Baxandall sein bahnbrechendes Buch »The Limewood Sculptures of Renaissance Germany« geschrieben und darin Hans Lein-bergers »Rosenkranzmuttergottes« aus der Landshuter Martins-kirche den grandiosen Schlußakkord gewidmet (Abb. 8). In die-ser Blütezeit deutscher Holzskulptur spricht Paracelsus von einer ›Chiromantie‹, einer Handlesekunst, welche die natürlichen Ver-anlagungen auch des Holzes als Material erkennt: [...] die das holz erbeiten [bearbeiten], als zimerleut, schreiner und der glei-chen sollen das Holz an seiner chiromantia erkennen, warzu es taugt und gut sei.28


In diesem von Kirchmair inszenierten Epochendialog wird die Geschichte der Ausstattung von Heiliggeist aktuell veran-schaulicht: Vom Palmesel aus St. Martin, um 1500, als geduldi-gem Betrachter (Kirchmair), über das Hochaltarretabelfragment der ›Hospitalkirche‹ von 153229 bis zu den Figuren-Ensembels aus der Werkstatt von Christian Jorhan auf den Langhaus-dienstkonsolen und für den ehemaligen barocken Hochaltar. Letztere allesamt dünnwandige Holzfaltengebilde, die in freier Aufstellung während der Jorhan-Ausstellung 1998 Einblick in ihren Entstehungsprozeß ermöglichten.30 Kirchmair hat sich sowohl mit diesen Ausstattungs-Bildwerken als auch mit den in Heiliggeist seit 1998 inszenierten Ausstellungen und Installa-tionen und darüber hinaus mit den dazu erschienenen Katalogen vertraut gemacht und somit das Ortswissen gesammelt.


Darüber hinaus sollen zwei Positionen der Gegenwart im Bereich von Holzskulptur beziehungsweise Installationskunst das heutige Interesse an diesem traditionellen Werkstoff verdeutlichen:31 Zum einen Rudolf Wachter, der das organische Leben des Holzes in seinen Werken als mitbestimmendes Dialogelement akzeptiert und berücksichtigt (Abb. 9).32 Zum anderen eine Gemein-schaftsproduktion von L. Wigg Bäuml, Kevin Blackwell, Günther Kempf und Sergio Sommavilla, die eher dem bildnerischen Schiffsbau denn der Skulptur verwandt erscheint. Sie entstand im Rahmen einer Kunstaktion für die Regensburger Minoriten-kirche 2002. Unter Verwendung von Alt- oder besser Abfallholz entstand ihre »Arche im Raum« als monumentales Schiff im Chor der ehemaligen Franziskanerkirche: als Schiff im Schiff (Abb. 10).33


III. Gattungsfragen


Schwierigkeiten der Gattungsbestimmung: Installationen zeigen Schnittstellen – oft gar Schnittmengen – gegenüber dem tradi-tionellen Gattungsverständnis auf.34 Weniger die klassi-schen Gattungen der Kunstgeschichte – Architektur, Skulptur, Kunsthandwerk und Malerei beziehungsweise Graphik –, sondern die beschleunigte und innovationsgetriebene Suche nach Cross-over, Mixed Media, Entgrenzungen, Verschmelzungen, Rekom-binationen oder Umwertungen charakterisieren das Installative ganz entscheidend mit.


Kirchmairs Installation verwendet Buchenholz in gesägter und geleimter Form sowie in Gestalt von Holzkohle, das heißt nach dem Farb- und Gestaltwandel durch den Vorgang des Brennens unter Entzug von Sauerstoff. Daraus konstruiert Kirchmair ›buchstäblich‹ Ge-Stelle35, deren Ort zwischen Architektur-modell, konstruktiver Skulptur und serieller Raumgraphik ange-siedelt erscheint.

Bei Kirchmairs Linienskulptur handelt es sich um ein offenes, konstruktives Experiment in den Grenzregionen zwischen Zeich-nung, Kunsthandwerk, Skulptur und Architektur. Letztlich scheut man dabei vor einem Zuviel an Festlegungen zurück und wählt leichtere, flexiblere Bezeichnungen, wie sie in diesem Text ›durchbuchstabiert‹ werden. In diesem Sinne verwandelt sich das Bezeichnete durch die Verschiedenartigkeit begrifflicher An-näherungen – vergleichbar der Unbestimmtheit von Metaphern – in Unwägbares. Was mit Hilfe dieser Installation erahnbar wird, ruft Faszination sowohl für den Baubetrieb mittelalterlicher Turm-giganten als auch für ›Hochseilartisten‹ auf den Baugerüsten mo-derner Hochhäuser wach: Habt ihr die Erbauer dieser Stadt gesehen, diese analphabetischen Akrobaten, die auf Bambus-gerüsten in den Himmel klettern?36


Folgen wir den Werken in der Reihenfolge ihres Aufbaues, der zu-gleich den Ablauf der Entstehung sowie ihrer Entwicklung aus dem Dialog mit dem Raum wiedergibt.


Objekt 3 - Stelzen als Pfeiler der Konstruktion: Stelzengleich erheben sich aus dem dickichtartigen Chaos For-men in Gestalt von Holzböcken; derartige Stelzen sind ein wiederkehrendes Œuvre-Motiv Kirchmairs.37 Zunächst auf erster Ebene in quadra-tischer Formation, sodann auf zweiter Ebene – in leichter Ab-weichung von der Ostung der Kirche – verwendet er insgesamt sechsfach die variierte Stelzenform. Beide Ebenen treten als Trä-ger für dort Gelagertes hervor.

Als selbsttragende, auf dem Boden aufstehende Konstruktion erinnern die vier unteren Stelzen des Monumentalobjektes an die sich gabelnden Baumstämme von Filaretes Urhütte (Abb. 11). Zugleich widerspricht Kirchmairs sozusagen ›wilde Architektur‹ jeder raumschaffenden Absicht, indem der geschaffene Raum sogleich durch Masse entwertet wird.38 Obgleich keinem Fach-werkbau verwandt ,39 profitiert die Herstellung der Konstruktion eher von Arbeitsweisen im erfahrungsgesättigten Schreinerhand-werk des Holzbaues als von Innovationssprüngen (Abb. 12).40


Auf diese vertikale Struktur antwortet – auch im Verlauf des Entstehungsprozesses – ein System horizontaler Konstruk-tionselemente aus verschiedenen strebewerkartigen Flügeln. Diese zweite Struktur wird beim Umgehen der Anlage deutlich: Wie Turbinenflügel (Kirchmair) ragen alle diese sechs zentrifu-galen Buchenspangen aus der Kernskulptur heraus.


Die einzelnen Hohlprofile der Großinstallation wirken in ihren schraubenartigen Verwindungen, ihren Spannungslinien, ihrer verleimten und auf Gehrung geschnittenen Unbezwungenheit wie Linien einer Zeichnung, sie ähneln damit in gewisser Weise den Radierungen Kirchmairs. Hohlbuchenrohre und Holzkohlestäbe entwickeln sich als Zeichnungen im Raum, erringen skulpturale Qualitäten durch Volumen, Konstruktion und Raumbezüge. Doch sind es weder raumhaltige Konstruktionszeichnungen noch Ver-körperungen von ›Dreiecks-Verhältnissen‹.41 An den Kontakt-stellen der einzelnen Bauelemente enfaltet sich ein gewagter Dialog von Zufall und Planung, von Chaos und Ordnung.42


Andere Annäherungen und Deutungen vermögen ihren eigenen poetischen Reiz zu entfalten.43 So könnte das Gesamtarrange-ment wie zurückgelassene Monumentalkrücken wirken: Teilweise umgefallene Gehhilfen von Riesen, zurückgelassen am Ort der Heilung. – Immer in Versuchung, das rätselhafte Gebilde gestalt-haft oder ganzheitlich zu deuten, tritt allen eindeutigen Vorschlä-gen baldiger Widerspruch entgegen und bringt auf diese Weise eine Spirale der Auseinandersetzung mit dem Werk in Gang. Ver-schiedenartige Deutungen stellen sich ein: Klettergerüst, Krähen-nest, Pagode? Der offene Betrachter schreitet diese Deutungs-vorschläge ab und setzt sich auf den ›Holzwegen‹ seiner Inter-pretation mit Installation und Kirchenraum auseinander. Mit je-dem Schritt gewinnt er weitere Kenntnisse und ›verstrickt‹ sich in die Authentizität des Ortes.


Objekt 2: Zwei vertikale Buchenlinien: Zwei mit Bedacht ausgewählte Exemplare der längsten Bauelemente treten in Vereinzelung neben das ›Buchenrohrdickicht‹. Bei voller Länge stehen sie frei, befestigt allein auf dem durch ein Präsentations-podest verkleideten Lattenrost. Derart werden sie zu einem aus-drucksstarken ›Kunststück‹ des Filigranen: Fast so etwas wie ein vertikaler Seiltanz. Wie ausgelöste und sodann vorgewiesene Einzelelemente aus dem Bausatz gotischer Architekten – Pfeiler, Strebewerk, Rippe oder Fiale – trotzen sie souverän allen Her-ausforderungen des Aufrechten. Aus mancher Betrachterposition treten diese elegant geschwungenen Vierkanter in Relation zur umgebenden Architektur, dabei scheinen optisch in den Buchen-rohrlinien Säule und Gewölberippe ineinander aufzugehen. Kirchmair fand dafür den mehrdeutigen Begriff ›dienstfrei‹.

Zusätzlich unterscheiden sich diese beiden Exemplare aus der Schar gekrümmter Linien durch die Bearbeitung ihrer Oberflä-chen: Dem Sägerauhen steht antwortend das Feinpolierte gegen-über: Das Allgemeine und das Besondere bilden eine gemein-same Form, welche sich bambusrohrhaft im Winde wiegt.


Objekt 1: Serielle Gestaltungsversuche: Bei Kirchmairs Raumgraphik aus meterlangen ›Buchenhohlrohren‹ (Objekt 3) erhöht der materielle Aufwand den Entscheidungsdruck, schränkt die verbleibenden Handlungsspielräume während des Gestal-tungsvorganges drastisch ein. Wahrscheinlich förderte dieser Umstand die verstärkte Suche nach adäquatem Probematerial. Kirchmair fand es wiederum in der Geschichte seiner heutigen Lebenswelt, in der die schwerer als Wasser wiegenden, nicht flößbaren Buchenstämme zu hochwertigem Transportgut ver-wandelt werden: die energiereiche Holzkohle liefert Kirchmairs Probematerial (Abb. 13–18).


Der Verwandlungsprozeß von Buchenstäben im Längenmaß der Bodenplatten der Heiliggeistkirche in verkürzte und leichtere Holzkohlestäbe markiert eine wichtige Schnittstelle: Im engeren Sinne vermitteln die Holzkohlearbeiten der ›Stuhlsequenzen‹ Einblick in das Stadium der Aufstellproben für die monumentale ›Raumgraphik‹. Mit dem Blick auf die ›ars combinatoria‹ legen sie zugleich das ›Bauhüttengeheimnis‹ Kirchmairs frei.44 Es ist, als ob mit der Erfindung miniaturisierter Holzkohle- Skulpturbau-steine ein leistungsgerechtes und angemessenes Probe-Medium mit geringerem Herstellungsaufwand als die Großskulptur gefun-den worden wäre. Keine Bildhauerzeichnung im Sinne einer Ge-brauchsanweisung oder Aufbauvorschrift, sondern modellartige Bausätze für eine Versuchsanordnung, welche jedoch vergleich-bare Funktion übernehmen können.


Objekt 4: Wolkenzungen – Flügelschläge – Schattenbilder: Eine weitere Stufe auf seiner Skala des ›buchstäblich unbeschwerten‹ erklimmt Kirchmair mit dem vierten Objekt vor der freistehenden Mittelsäule der Spitalkirche.


Dieser scheinbar minimale Aufwand bewirkt maximale Effekte, welche sich in zahlreichen Bezügen zur Ausstattung, zur Ge-schichte und zum Raumbild niederschlagen: Das von Ignaz Kaufmann signierte barocke Hochaltarblatt mit der Darstellung des Sprachwunders am Gründungstag der Weltkirche hängt heute oberhalb der Pforte zur Sakristei und ist damit seiner originären Funktion enthoben.45 Dargestellt ist das Verstän-digungswunder der Apostel zu Pfingsten, ausgelöst und bewirkt durch jene vom Himmel fallenden Feuerzungen. Kirchmair spricht im Kontext der »Wolkenzungen« von seiner eigentlichen Arbeit für Heiliggeist.


Unbeschwert assoziiert der Betrachter angesichts des Schwe-bezustandes dieser ›Holzkohlezungen‹ weiteres: beispielweise ›Vogelflugbilder‹. Fernerhin werfen diese ›Flügelwesen‹ im Ta-gesverlauf wechselnde Schattenbilder, welche dem Schwebe- Ensemble zuweilen einen federhaften Hauch des Unbeschwerten verleihen. Hinzu kommen die durch Positionswechsel des Betrachters hervorgerufenen Wahrnehmungsdifferenzen, wobei beispielsweise die seitlich angebrachten ›Flügelbilder‹ für den ›Auftrieb‹ des Werkes Entscheidendes bewirken.


Es bedarf keiner zusätzlichen Betonung, daß Kirchmair auch am Ort des einstigen Altares ikonische Festlegungen scheut und statt dessen lieber den Wettbewerb um Deutungen wachruft.46 Überraschend scheinen sich diese ›Kohlezungen‹ die substan-tielle Impulsfähigkeit ihrer spirituellen Vorbilder aus der Apostel-geschichte 2,2–5 anzueignen: Und es geschah plötzlich ein Brau-sen vom Himmel wie eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zer-teilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen und sie fingen an zu predigen in anderen Zungen wie der Geist ihnen gab zu sprechen.


IV. Gleichgewichtsübungen


Erster und zweiter Blick: Die ›installative Ausstattung‹ Kirchmairs ermöglicht verschiedenartigste Betrachtungsweisen gegenüber dem rätselhaften Werk. Mancher Anschauungsbegriff vermag dabei, einer Gleichgewichtsübung vergleichbar, die Inter-pretation streckenweise zu leiten. Einige Begriffspaare seien aus-gewählt, wobei ein erstes Beispiel aus der mittelalterlichen Kunst zeigt, daß Vorbehalte gegenüber nicht-figuraler Kunst epochen-übergreifend ein Betrachterverhalten veranschaulichen. Um 1180 charakterisiert der englische Geschichtsschreiber Giraldus Cam-brensis angesichts einer irischen Buchmalerei seine Erlebnis-situation in allgemeingültiger Weise: [...] Wenn Du nur einen oberflächlichen Blick auf diese Dinge wirfst und sie in der ge-wöhnlichen Weise und nicht sehr genau anschaust, wirst Du nur Geschmier, eher Flecken als Formen sehen; Du wirst keine Fein-heiten bemerken, wo in Wahrheit alles von höchster Subtilität ist. Wenn Du aber Deine Augen auf schärfere Sicht einstellst und Dich bemühst, zum Geheimnis dieser Kunst vorzudringen, dann wirst Du dessen gewahr werden, wie reizvoll und subtil, wie in sich geschlossen und gekonnt diese verwickelten Dinge sind, so kunstvoll verknotet und verwoben, und in Farben so frisch, als ob heute gemalt, so daß Du nicht anstehen wirst, die Erfindung die-ser Komposition eher Engeln als menschlichem Verstand zuzuschreiben.47

Markierte Mitte der Fünfziger Jahre die Auseinandersetzung mit der Abstraktion eine herausfordernde Diskussionsschwelle,48 so tritt heute die ›Gegenwelt‹ moderner Kunst mit ›Installationen‹ in Erscheinung, um die für die Urbanität notwendige, offene Diskussion anzustoßen.49

Vom zweiten zum fotografischen Blick: Die Entdeckung der Details und ihrer Bezüge fordert den subjektiven Blick des Foto-grafen durch verschiedene Objektive ein. Zum aktiven Umgang zählen: Wechselbeziehungen zwischen den einzelnen Objekten und dem Raum, Standortbestimmungen und Perspektivenwech-sel, Sensibilisierung für den Wandel der Oberflächenerscheinung im Tages- und Lichtverlauf sowie Wechsel zwischen Dokumentar- und Künstlerfotos (vgl. Abb. 13–18).


Typen des scheinbar ›Nutzlosen‹: Kirchmairs Bühne ist eine Stätte der Kultur: zunächst jahrhundertelanger kirchlichreligiöser Rituale und heute vermehrt künstlerischer Experimente. Als übergreifende Klammer durchwirkt das Spirituelle diesen lichten Raum in seinem Nutzungswandel. Die Säkularisationsversuche an diesem Sakralort erzeugten ihren Widerspruch. Wie vor der Jahr-tausendwende stand schon 1809 in der Säkularisationswelle in-mitten der Koalitionskriege der Untergang der gotischen Leicht-bauarchitektur auf dem Spiel. Abriß oder Umnutzung, Norm und Auflösung verdeutlichen die ambivalente Rolle und Funktion die-ses ideal proportionierten Raumes als stadtbildprägender Bau-marke.50


In der Gegenwart gewinnt die Wiederkehr der Religion eine neue Dimension weltumspannender Bedeutung.51 Vor diesem Hinter-grund veranschaulicht ein Blick auf die Lehre des Tschuang-tse die offene Grenze zwischen Nutzlosem und Nützlichem: Hui-tse sagte zu Tschuang-tse: Deine ganze Lehre kreist um das Nutz-lose. Tschuang- tse erwiderte: Wer keinen Sinn für das Nutzlose hat, der kann auch nicht über das Nützliche reden. Nehmen wir als Beispiel die Erde! Sie ist unendlich groß und weit, aber der Mensch braucht von alldem nur den Fleck, auf dem er zufällig steht. Nun stelle dir vor, es würde plötzlich alles Erdreich wegge-nommen, das er im Augenblick nicht braucht, so daß sich um ihn herum ein Abgrund auftut und er im Leeren steht und nichts un-ter den Füßen hat als zwei, drei Schollen Erde – was nützte ihm dieses winzige Stück? Hui-tse sagte: Es nützte ihm gar nichts. Tsuang-tse schloß: Damit ist erwiesen, wie notwendig das ist, was ‘keinen Nutzen’ hat.52


Zufall und Planung: Der Gestaltungsprozeß, die Formfindung, ist bei allen vier Objekten auch von der Mitsprache des verwendeten Materials abhängig. Der Künstler reguliert die Auswahl des je-weils verwendeten Werkstücks. Zufall und Planung ergänzen sich zum Ganzen. Die zufällige Krümmung oder Verdrehung des ein-zelnen Bauelementes sowie der planvolle Einsatz des verdrehten Rohres innerhalb der Gesamtkomposition durchlaufen einen Pro-zeß wechselseitiger Abhängigkeiten: ein Dialog zwischen Künstler und Material.


Krummes und Gerades: Das Holz als ›Lebewesen‹ wirkt über den bildnerischen Gestaltungsprozeß hinaus. Jeder, der mit Häu-sern, Möbeln oder Skulpturen aus Holz zu tun hat, weiß um die Abhängigkeit dieses organischen Materials vom Umgebungskli-ma.


Für die Installation entstanden durch sorgsam vorbereitete Pla-nung beim Auffächern des Stammes sowie unter gestaltender Ausnutzung natürlicher Spannungen im trocknenden Holze dünne Bretter, die zu krummen Hohlbalken verarbeitet wurden. Die an-gestrengten Verspannungen und schraubenden Drehungen doku-mentieren das faszinierende Wechselspiel von Verarbeitungs- und Trockungsprozeß jenseits des Korridors des Nützlichen. Im Dialog mit dem Buchenholz gewinnt Kirchmair aus den Eigen-heiten des Materials für sein Werk eine entscheidende, vielleicht ausdrucksbestimmende Dimension.


All das mag wie ein Gleichnis auf den Menschen erscheinen.

Im sechsten Satz seiner »Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht« kommt Immanuel Kant unter Ver-wendung der Holzmetapher auf das schwerste Problem, welches von der Menschengattung am spätesten aufgelöset wird. Ge-meint ist das Problem des höchsten Oberhauptes als Instanz un-ter den rivalisierenden Individuen: Es soll aber gerecht für sich selbst sein, und doch ein Mensch sein. Diese Aufgabe ist daher die schwerste unter allen; ja ihre vollkommene Auflösung ist un-möglich: aus so krummem Holze, als woraus der Mensch ge-macht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.53


Offen und geschlossen: Der abgezählte Bausatz linearer Ele-mente und die Verweigerung des Künstlers gegenüber vorbe-reitenden Werkzeichnungen deutet eine längstmögliche Offen-haltung für die Augenblicke gestalterischer Entscheidung an. Da-durch sind zwar Korridore bildnerischer Handlungen vorgegeben, aber für jeden Moment im Prozeß der Gestaltung bleibt eine gewisse Entscheidungsfreiheit für verschiedene Alternativen er-halten. Der Aufbau der Installation, die Inszenierung, wird zum Entscheidungsspiel, zum Endspiel, mit offenem Ausgang. Nach und nach erfolgen zwar immer weitere Festlegungen, welche wiederum auf das Nachfolgende Auswirkungen zeitigen, doch bleibt Gestaltungsfreiheit bis zum letzten Element im Spiel. In diesem kompositorischen Schwebezustand gleicht ihr Freiraum der Gleichgewichtsübung eines Nietzscheschen Seiltänzers.


Balancen zwischen Intuition und Reflexion: Der Werkauf-bau, das Experiment mit der Statik, das Hinzufügen und das Wegnehmen, das Radieren im Raum (Kirchmair) wird zum Spiel voller Überraschungen.54 Das Vorhersehbare kommt an seine Grenzen und in der Handlung öffnen sich neue Erfahrungshori-zonte. Dabei ist der Künstler vor intuitiver ›Plötzlichkeit‹55 nicht gefeit: Vergleichbar folgt in der Erzählung auf das eröffnende ›es war einmal‹ das überraschende ›und plötzlich‹. In eben diesem Sinne entschloß sich Kirchmair urplötzlich, ein Kreuz als Gipfel der Installation aufzusetzen, was jedoch später wieder entfernt wurde. Mitten im zeitgleich wogenden Streit um die dänischen Mohammed-Karikaturen erfolgte mit dieser versuchsweisen Setzung ein Ausrufezeichen für die religiöse Identität im alten Europa. Markierte damit der ›Graphikarchitekt‹ versuchsweise seine Position im Dialog der Kulturen?


Das offene Kunstwerk? Das für den Interpreten im Verlauf der Auseinandersetzung vermeintlich Vertrautgewordene, vermag er – angeregt durch Gespräche – immer wieder mit anderen Augen zu sehen.56 Im Hin und Her zwischen Vertrautem und Unver-trautem verändert sich der Horizont. Was sich hinter dem Hori-zont auftut, ist unabsehbar, eine Horizontabschreitung nicht möglich.57 – In der zeitlichen Reihenfolge der Aufstellung aller Objekte im Hallenkirchenraum baute sich ganz langsam ein Er-eignisfeld auf: Jedes weitere Objekt definierte das Verhältnis der Teile untereinander neu. Weitere Objekte wie »Hexenhaare« und »Buchendüfte« könnten bis zum Abbau überraschende Umpo-lungen, Veränderungen und Wandlungen herbeiführen. Hier deu-tet sich eine Horizontverschiebung mit offener Rezeption an.



V. Übertragungen


Austauschangebote und Gesprächsbereitschaft: Im Versuch über die Stadt bieten die »Landshuter Installationen« in der Hei-liggeistkirche eine regionale Plattform für Gespräche und Debat-ten zwischen Vertretern aus verschiedenen Bereichen der funk-tionalisierten Welt (Niklas Luhmann); aus Religion, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Gesellschaft. Zugleich stellen sie den Versuch dar, Möglichkeit und Wirklichkeit zeitgenössischer Kunst unter aktuellen Rahmenbedingungen von Kulturbetrieb und Stadtkultur zu erkunden und Austausch und Übertragungen zwischen verschiedenen Bereichen zu fördern.58


Calvinos Gebrauchsanweisung: Die Leichtigkeit kann im Verbund mit weiteren ihr als Marschgepäck zugesellten Werten betrachtet werden. Italo Calvino fixierte 1985 »six memos for the next millennium«. Sie waren gedacht für seine Charles Eliot Norton Poetry Lectures an der Harvard-Universität 1985/86, vor deren Abhaltung er am 19. September 1985 verstarb. Calvinos Schlüs-selbegriffe seiner Perspektive auf die Literatur im neuen Jahr-tausend sind: Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschau-lichkeit, Vielschichtigkeit und Konsistenz (Haltbarkeit). In der Aufarbeitung dieser Qualitäten erkundete er das Ausdrucks-, Erkenntnis- und Imaginationspotential der modernen westlichen Literaturen im zweiten Jahrtausend.59


Ausgewählte künstlerische Leichtigkeiten: In jeder Kunst der Inszenierung liegt immer auch eine gewisse Akrobatik: Denis Diderot sah in Jean Siméon Chardin den Maler des Leichten: O Chardin! Es ist nicht das Weiß, das Rot, das Schwarz, welches Du auf der Palette zerreibst: Es ist die Substanz der Dinge selbst, es ist die Luft, es ist das Licht, welche Du auf die Spitze Deines Pin-sels nimmst und auf der Leinwand befestigst.60


Außergewöhnliches ließe sich unbeschwert nach Kunstsparten anordnen: Italo Calvino – beispielsweise – vermittelt bewun-dernswert und profiliert Einblick in die Motivgeschichte litera-rischer Leichtigkeit zwischen Calvacantis Geistern und Kafkas mysteriösem »Kübelreiter«. Calvino unterscheidet zwei entge-gengesetzte Bestrebungen literarischer Darstellungsweisen von Leichtigkeit: Die eine sucht aus der Sprache ein gewichtloses Element zu machen, das über den Dingen schwebt wie eine Wol-ke oder besser gesagt wie ein feiner Staub oder noch besser wie ein Feld von Magnetimpulsen; die andere ist darauf aus, der Sprache das Gewicht, die Dichte und die Konkretheit der Dinge zu geben, die Konsistenz der Körper und der Empfindungen.61


Die Verschränkungen beider Prinzipien werden zum zentralen Motiv in Milan Kunderas Kultroman »Die unerträgliche Leich-tigkeit des Seins«: Verwandlungen von Leichtem in Schweres und von Schwerem in Leichtes. Hierfür pendelt Kundera zwischen den Standpunkten von Parmenides (Das Seiende) und Ludwig van Beethoven, dessen abschließender Satz in seinem letzten Quartett unter der Überschrift »Der schwer gefaßte Entschluß« auf zwei aufeinander abgestimmte Motive komponiert ist: Muß es sein? – Es muß sein!62


Selbstverständlich tritt unter den Künsten, die mit Bravour Bal-last abwerfen, auch die Musik mit ihren spezifischen Möglich-keiten hervor: Martin Meyer hat hierzu Alfred Brendel zum Ver-hältnis von Intellekt und Instinkt, von Chaos und Ordnung, von Dionysischem und Apollinischem befragt und hinreißende entweder-und-oder- Antworten freigesetzt.63 »The Köln Concert« von Keith Jarrett verkörpert für eine modernere Musik-sparte geradezu die Idealgestalt geistesgegenwärtiger Improvi-sationskunst, einer schweren Kunst, welche der Auszehrung durch Überforderung Vorschub leisten kann.64 Vielleicht liegt ein geheimer Konvergenzpunkt dieser Suche in der Selbstvergessen-heit, die Pina Bausch für ihr Tanztheater als den Inbegriff höch-ster Lebenslust ausmacht.65


Religion und Kunst: Jörg Traeger hat ›die Kirche der Natur‹ für die Kunst des Epochenumbruchs des frühen 19. Jahrhunderts hervorgehoben und dabei nach der Kunst romantischer Grenzen-losigkeit gefragt.66 Kirchmair versetzt seine ›Bucheninstallation‹ in den spirituellen Lebensraum inmitten der Stadt in Zeiten neuer Säkularisationsgewitter. Kirchmairs Rituale um seine buchstäb-liche ›Opfergabe‹ haben nichts Kirchliches an sich und sind doch rituelle Würdeformen. Vielleicht eine Art Naturreligion mit den Mitteln der Kunst, eine Überlappung von Kunst und Religion wie sie von alters her bis in die Moderne zukunftsweisend wirkt. Die Notwendigkeit ehrfürchtiger Verhaltensweisen gegenüber der Natur signalisiert Alexander Demandt, nachdem er die jahr-tausendeweiten Bedeutungslandschaften von Bäumen und Wäl-dern durchwandert hat. In seinem Schlußwort erinnert er an die Johannes- Apokalypse: Beschädigt die Erde nicht, noch das Meer noch die Bäume! (Offb 7,3) und bringt die Ehrfurcht gegenüber der Schöpfung abschließend mit einem Gedicht auf den Punkt:


Ich bleibe oft vor Bäumen stehn

und grüße sie als meinesgleichen

und lasse im Vorübergehn

die Zweige meine Stirne streichen.

So hol ich mir auf meinen Wegen

Den Eichen- und den Buchensegen.67


Leichtbau-Cluster: Angesichts der von Kirchmair verwendeten Buche mag es vermessen sein, an die Entdeckung der Schwer-kraft durch Newton zu erinnern, da die berühmte Apfellegende vom ›Buchenwege‹ abführen mag.68 Gleichwohl läßt sich die Gravitation nicht aus dem Umfeld der Leichtigkeit verdrängen, wie auch die Materialforschung weiß.


Im »Land der Ideen« sind ausgewählte deutsche Standorte mit Leichtbau-Kompetenz angeführt. Landshut ist bisher noch nicht darunter und hat doch mit dem ›Leichtbau- Cluster‹ ein anwen-dungsorientiert handelndes Verbundnetzwerk im Bereich der Materialforschung.69


Während der Entwicklung seiner ›Leichtbau-Installation‹ nahm Kirchmair Anregungen der gotischen Skelettbauarchitektur für sein Werk ernst, wobei für ihn die Gewölberippe mehrfach als Impulsgeber wirkte. Die Faszinationskraft der gotischen Kons-truktion hat eine lange Tradition: Sie beruht auf der Tatsache, daß die gotische Kathedrale im 12. und 13. Jahrhundert Teil ei-ner umfassenden Modernisierung war, durch welche die europä-ischen Städte zu dynamischen Zentren der Innovation wurden.70 Seit ihrer Wiederentdeckung in der Aufklärung hat die Gotik ihren Charme neu entfalten können. Für eines der zentralen Hochleis-tungsprodukte innerhalb der Technikgeschichte des 20. Jahrhun-derts wurde die europäische Kathedrale deshalb leichterdings als Vorbild bemüht:71 1957 verglich Roland Barthes den neuen Ci-troën in seinen »Mythen des Alltags« mit dem Giganten der euro-päischen Architekturgeschichte des 13. Jahrhunderts, der Kathe-drale: Ich glaube, daß das Auto heute das genaue Äquivalent der großen gotischen Kathedralen ist. Ich meine damit: eine große Schöpfung der Epoche, die mit Leidenschaft von unbekannten Künstlern erdacht wurde und die in ihrem Bild, wenn nicht über-haupt im Gebrauch von einem ganzen Volk benutzt wird, das sich in ihr ein magisches Objekt zurüstet und aneignet.72


Unter den ›Global Playern‹ der Automobilindustrie gewinnt der Standort Landshut innerhalb des weltweiten Produktionsnetz-werkes der BMW Group seine Identität und sein Profil durch das hier angesiedelte Innovations- und Technologiezentrum.73 Die anwendungsorientierte Wissenschaft von Materialien wie Alumi-nium, Magnesium und Kohlenfaserstoff in den LITZ-Technika umreißt ein komplexes Feld, wobei die Erforschung und Erpro-bung neuer Materialien, Werkstoffe und Technologien als her-ausfordernde Aufgabe der Zukunftsgestaltung erscheint (Abb. 19).74 Innovationsklimapflege bedarf systematischer Reflexion und Vernetzung, bedarf eines interdisziplinären und offenen lokalen ›Wissenswerkes‹.75 Um dieses Zentrum von Schlüssel-kompetenzen hat sich in der Region ein sogenannter Leichtbau-Cluster etabliert.76 Kirchmairs individuelle Erkundung der Mög-lichkeiten des Leichtbaues mit heimischem Buchenholz wirkt im Gegensatz zum Aufwand in der modernen Technik wie ein archa-isches und buchstäblich unbeschwertes Ritual.


Nachhaltige Skulptur? Welche Möglichkeiten stellen Kirchmairs buchstäbliche Rituale für künftiges Unbeschwertsein bereit? Ver-einen oder mischen sie sich mit den von Italo Calvino ausgewähl-ten Werten? Vermengen sie sich mit jenen des spirituellen Ortes, an dem Kirchmair ortsbezogen inszeniert, mit den Sieben Gaben des Heiligen Geistes: dem Geist der Weisheit und der Einsicht, dem Geist des Rates und der Stärke, dem Geist der Erkenntnis, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht (nach Is 11,2–3)?

Oder liegen Kirchmairs eigene Setzungen, vermutbare Absichten, künstlerische Ziele irgendwo anders zwischen dem ›Geist der Schwere‹ und dem unbeschwerten Tanz? Bemißt sich das spezifi-sche Gewicht an der Tragbarkeit seiner Werke? Fördert der unbe-schwerte Umgang innerhalb gestalterischer Handlungsspielräume die Geistesgegenwart angesichts künftiger Möglichkeiten?


Kirchmairs Installation ist seine Antwort auf jene künstlerischen Fragen, welche diese umgenutzte Landshuter Hallenkirche den Künstlern unserer Gegenwart stellt. Aus der Ehrfurcht vor dem Raum erwächst Kirchmairs verantwortungsvoller Umgang mit dem Raum als einem Muster abendländischer Kultur. ›buchstäblich unbeschwert‹ nutzt Anton Kirchmairs ortsbezogene Installation ihr Zeitfenster, um sein Werk im Sinne von Nietzsches Zarathustra als Weg zu präsentieren: ‘Das – ist nun mein Weg, – wo ist der eure?’ so antworte ich denen, welche mich ‘nach dem Wege’ fragten. Den Weg nämlich – den gibt es nicht.77


Für zahlreiche wichtige Hinweise, kritisches Wohlwollen und Teilnahme am Denkraum »buchstäblich unbeschwert« danke ich neben Anton Kirchmair Angelika Hofmann, Anke Humpeneder-Graf, Karin Kreuzpaintner, Thomas Stangier, Max Tewes, und besonders Birgit Niehoff.