„...Im Medium der Druckgraphik, für die er sein Werkzeug selbst herstellt, erzielt Kirchmair ähnliche Effekte wie in der Zeichnung. Auch hier entsteht trotz der nunmehr breit angelegten Linien eine zarte, sinnliche Wirkung, die aus dem asketischen Formenrepertoire, dem peniblen Auswischen der Platten zugunsten einer sauberen Abbildung der Linienführung sowie den sich im Druck abbildend Eigenheiten der jeweiligen Technik resultiert.“


Besonders augenscheinlich wird dies in „Ohne Titel (Schabblatt Nr. 75, Ex. 5/10)“ [Abb. 4], das als einziges Schabblatt in Kirchmairs Werk eine Ausnahme darstellt. Auf dem Blatt reihen sich 25 senkrechte Linien aneinander, die mit unterschiedlicher Ansatzhöhe freihändig von oben nach unten gezogen wurden. In ihrem Verlauf variieren sowohl ihre Breite als auch ihre Druckintensität. Diese Abweichungen in der Form und der Sättigung der Linienstruktur hat Kirchmair mittels einer individuellen Technik erzielt, die sich auch aus seinen in der Zeichenpraxis gewonnenen Erkenntnissen speist.


Wird die Platte in der traditionellen Schabtechnik zunächst mit dem Wiegeeisen fein gekörnt, bevor das Motiv mit einem dreieckig geschliffenen, spitz zulaufenden Schaber aus dem aufgerauhten Grund gehoben und anschließend mit dem Polierstahl geglättet wird, so daß ein Negativdruck mit feinsten Schwarzweiß-Abstufungen entsteht, so hat sich Kirchmair hier einer dem Kupferstich ähnelnden Technik bedient. Er hat einen selbst konstruierten quadratischen Griffel, der sich beidhändig fassen läßt, unter Drehen und Wenden über die glattpolierte Platte gezogen. Erklärtes Ziel dabei war, den Arbeitsprozeß selbst sichtbar zu machen: „Die originäre Spur des Schabers […] wird bei […] [der traditionellen] Methode getilgt, und genau das will ich nicht. So arbeite ich mit dem Schaber nicht in die gekörnte, sondern in die polierte, also nicht druckende Fläche hinein und es entstehen eingetiefte, fein geriffelte Schabspuren, die im Druck mit zartesten Grauabstufungen die Spur des Werkzeugs manifestieren.“


Die sanften Grautöne zeigen sich an den Stellen, an denen der Schaber _ gewissermaßen wie ein „geflachter“ Bleistift _ mit ganzer Kantenbreite zum Aufliegen kam und _ ähnlich wie beim Kupferstich _ einen Metallspan aus der Platte gehoben hat. Die volltonigen, schmalen Linien entstanden hingegen durch den über Eck geführten Schaber, dessen Spuren denen des „gespitzten“ Stiftes ähneln und der – vergleichbar der Radiernadel – tiefe Grate im Plattenmetall aufgeworfen hat, in denen sich die Druckfarbe vermehrt ansammeln konnte. Im Druck haben sich im Linienverlauf horizontale Farbmarken sowie eckige S-Formen abgebildet, die die Wendepunkte des Schabers und damit die „Atempausen“ im kraftraubenden Schaffensprozeß markieren.















Bei ganzheitlicher Betrachtung wirken die zeichenhaften Linien wie langgestreckte Buchstaben, die den Rezipienten wiederholt zu dem – letztlich vergeblich bleibenden – Versuch animieren, einen Sinnzusammenhang zu entziffern. Nähert sich der Betrachter dem Blatt, ergeben sich wieder neue Einsichten: Nun erinnern die sanft geschwungenen, transparenten Werkspuren eher an mikroskopisch vergrößerte vegetabile Strukturen..„                                                                                                                           


Marion Bornscheuer: „Mit aller Kraft zur Leichtigkeit“ aus „buchstäblich unbeschwert“

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