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Eröffnung der Ausstellung

Anton Kirchmair: Von der Schwärze der Nacht

in der Katholischen Akademie Bayern

am 16. Januar 2013, um 19.00



Meine sehr geehrten Damen und Herren!


Der Künstler Anton Kirchmair ist ein Phänomen: immer ganz ruhig, aber immer ganz angespannt. Während die SZ vom „weisen Indianer aus dem Bayerischen Wald“ schrieb, kommt er mir eher wie ein philosophierender Samurai vor.


Normalerweise spreche ich nicht gerne und vor allem nicht gerne ausführlich über die Biographie eines Künstlers, wenn ich eine Ausstellung mit seinen Werken eröffne. Aber diese Biographie, die man wirklich als Werde-Gang bezeichnen kann, hat doch so viel mit dem Werk zu tun, dass ich sie kurz andeuten will.


1943 wurde er im kriegszerstörten München in eine Arbeiterfamilie geboren. Karg ging es da zu, aber es hat ihm an nichts gefehlt. Es wurde viel und begeistert Volksmusik gemacht und gesungen, was er heute noch gerne tut, wenn man ihm eine Gitarre in die Hand drückt.


Mit 14 hat er eine Werkzeugmacher-Lehre begonnen; eigentlich sollte er auf Wunsch seines Vaters später Instrumentenbauer werden. Aber es kam anders: Mit 19 ist er als Maschinist zur See gegangen, auf großen Schiffen um die Welt gefahren. Hat viel gesehen, viel erlebt und seinen Horizont erheblich erweitert. Auch das Buch, von dem Dr. Schuller sprach, sein erstes und bisher einziges, handelt von dieser Zeit.

Und nun lebt er schon seit etwa 17 Jahren in Marchhäuser bei Haidmühle im Bayerischen Wald, direkt an der tschechischen Grenze. So direkt, dass die Grenze seines Grundstücks zugleich die Staatsgrenze ist. Dort ist es schon ziemlich einsam, und es fehlt der geistige Austausch. Um den zu erreichen, veranstaltet er „Kunst am 22.“: Seit Jahren findet an jedem 22. des Monats etwas bei ihm etwas statt, eine Ausstellung, eine Tanzvorführung, eine Lesung oder ähnliches. Und so kommt die Stadt, oder jedenfalls die Kultur, zu ihm in die Einsamkeit.


In seinen künstlerischen Techniken ist Anton Kirchmair nicht festgelegt. Das Zeichnen, spielt eine große Rolle für ihn, auch das Zeichenhafte. Wichtig ist ihm der Zusammenklang zwischen seinen Arbeiten und dem Raum, in dem sie gezeigt werden. Er fühlt sich in den Ausstellungsraum ein und lässt von der Art des Raumes die Form der Präsentation abhängen. Die erste Ausstellung von ihm, die ich sah, fand in einem ehemaligen Schlachthof in Straubing statt. Auf überaus dünnen Sockeln oder Stelen waren kleine, schwarze Pakete abgelegt, die im Lauf der Ausstellungszeit nach und nach ausgepackt wurden. Aus den unterschiedlichsten Holzstückchen, die in den Paketen waren, konstruierte er kleine Stillleben auf die dünnen Sockel. Alles sehr fragil, absolut empfindlich gegen Berührung. Aber völlig ohne Vitrinen oder Absperrungen.

Tatsächlich handelt es sich – jedenfalls im ersten Arbeitsschritt– um Radierungen. Allerdings ungewöhnlich große Radierungen, und genauer gesagt, Kaltnadel-Radierungen. Bei dieser Technik wird mit Nadeln „kalt“, das heißt ohne Ätzung mit Säure, in die Druckplatte geritzt. Nun ist Anton Kirchmeier ja ein sehr kraftvoller Mann. Er nimmt keine spitze Nadel und strichelt auf die Kupferplatte. Vielmehr ergreift er eine besonders stumpfe Nadel, eher einen dicken Nagel, und pflügt damit unter großem Druck auf den großen Metallplatten herum. Dann reibt er die schwarze Druckerfarbe auf die Platten, und zwar so, dass sie in den Vertiefungen bleibt, auf der Oberfläche aber wieder abgewischt wird. Und die so eingefärbten Platten druckt er mit Hilfe einer Presse auf Bögen von Büttenpapier.


Eine klassische Radierung wäre damit vollendet und bei Bedarf auch mehrfach herstellbar. Nicht so bei Kirchmair! Er bearbeitet die bedruckten Papierbögen wiederum mit Druckerfarbe, die er in ähnlicher Weise aufbringt wie vorher auf die Metallplatten, mit Wischern, mit Druckballen oder auch mit der Hand. Aber damit nicht genug! Denn nun behandelt er die bedruckten und bemalten Papierbögen erneut wie eine Druckplatte, macht sozusagen nochmals eine Kaltnadel-Radierung – diesmal auf Papier. Durch Kratzen und Ritzen wird die Papieroberfläche verletzt, und es kommt aus der schwarzen oder grauen Farbe das Weiß aus dem Inneren des Papiers zum Vorschein; das Papier wird dabei verletzt.

Aber die Karriere als Seemann währte nur knapp ein Jahr, denn es wurde Kirchmair bald klar, dass er nicht als Seemann enden wollte.


Zurück in Deutschland, ist er zur Bundeswehr gegangen. Dort traf er junge Menschen aus anderen sozialen Milieus, was ein geradezu explosives Bildungserlebnis für ihn zur Folge hatte: die Liebe zur Literatur und zu den vielfältigen Möglichkeiten der Sprache. Irgendwie hat er da Glück gehabt, denn andere Leute berichten ganz anderes aus ihrer Kasernenzeit.


Kaum vom Militär entlassen, meldete er sich bei einer Abend-Realschule an, machte schnell mal die Mittlere Reife und ließ sich dann vom Kultusministerium genehmigen, das Abitur zu versuchen – ohne Besuch der Oberstufe. Er war ja da schon 23. Den Stoff brachte er sich selbst bei, mithilfe eines Studenten. Und er schaffte das Abitur! Man gewinnt bei seiner Biographie leicht den Eindruck, dass Anton Kirchmair alles schafft, was er wirklich will.


Mit 25 Jahren begann er zu studieren, das war im Unruhejahr 1968. Nach einigem Hin und Her wurde klar: Kunsterzieher wäre das Richtige. Und er heiratete in diesem jungen Alter, und ein Jahr später war das erste Kind da. Zunächst ließ sich das Lehrerdasein gut an, es machte ihm Freude, Kinder zu unterrichten. Aber nach 20 Jahren hatte er dann doch genug, wollte nicht mehr lehren, sondern lieber wieder selbst was lernen. Also verließ er den sicheren Hafen des Schuldienstes und verzog sich als freier Künstler aufs Land. Inzwischen war er allein erziehender Vater von drei Kindern.


So etwas geht hier in der Katholischen Akademie nicht, weil diese Räume ja fast täglich für Veranstaltungen genutzt werden. Also entschloss er sich hier für wandgebundene Arbeiten. Ich spreche zuerst über die kleinen Bilder im Flur gegenüber: Bei der erwähnten Straubinger Ausstellung wurden neben den kleinen Holz-Stillleben auch die leeren Einwickelpapiere präsentiert. Die Hohlformen aus schwarzem Papier wurden wie eigene, wieder sehr empfindliche Skulpturen ausgebreitet. Der Katalog zu dieser Ausstellung hat dem Perfektionsanspruch Anton Kirchmairs nicht genügt. Also hat er – soweit ich weiß, erst nach der Ausstellung! – die Kataloge zerrissen, zerstört und aus den Seiten neue Werke gemacht. Die sehen sie drüben im Flur. Ruhige Formspiele, nur in Schwarz- und Grautönen, denen man die dramatische Vorgeschichte nicht ansieht.


Auch die großen Bilder an der Wand des Vortragssaales zeigen neben den Varianten des Schwarz nur das Weiß des Papiers. Aber sie sind auf ganz andere Weise entstanden. Bei genauerem Hinsehen erkennt man im Papier einen Plattenrand, wie man ihn von Druckgraphiken her kennt, etwa von Kupferstichen oder Radierungen.


Gelegentlich zerreißt er dann diese Drucke und klebt sie in anderer Form wieder zusammen. Das Schaffen von neuen Kunstwerken aus anderen, vorher gezeigten, ist ein immer wieder bei Kirchmair auftauchendes Motiv.


Das alles geschieht mit großer Kraft und wilder Ruhe. Die Arbeiten sind sozusagen die Spuren im Schnee eines gestalterischen Kampfes. Manchmal muss er ein Blatt nach diesem Kampf mit dem Kopf nach unten stellen. Und dann steht die bereits angebrachte Signatur plötzlich verkehrtherum oben. Etwas verwirrend. Das Machen, das Performative soll erkennbar bleiben – aber vermischt mit einer ästhetischen Rigorosität, einem strengen Anspruch an sich selbst. Das öffnet sich nicht so ohne weiteres, setzt Aktivität beim Betrachter voraus. Ich hoffe, dass ich Ihnen ein bisschen beim Knacken dieser Kunst behilflich sein konnte. Mehr als ein Versuch konnte es nicht sein. Aber auch beim Betrachten von Kunst kommt es eben sehr aufs Machen an, aufs Mitmachen, aufs Sich-Einlassen. Kraftvoll, streng und kompromisslos –wie Anton Kirchmair!


Dr. Thomas Raff apl. Pofessor für Kunstgeschichte an der Universität in Augsburg

„Von der Schwärze der Nacht“