„Spitz auf Knopf“ ARTS Akzente 2011

Anton Kirchmair stellt im Kunstraum Klosterkirche in Traunstein Druckgraphik, Fotographie, Skulpturen und Zeichnung aus

„Spitz auf Knopf“, ein Ausstellungstitel, der vieles vermuten und erahnen lässt, aber doch unzählige Überraschungen bereit hält für den Ausstellungsbesucher in der diesjährigen ARTS Akzente Präsentation im Kunstraum Klosterkirche in Traunstein mit verschiedenen Werkgruppen des renommierten Künstlers Anton Kirchmair. Zu sehen sind Druckgraphiken, Fotographien, Skulpturen und Zeichnungen. Anton Kirchmair lebt und arbeitet in Marchhäuser/Haidmühle, Landkreis Freyung an der böhmisch-bayerischen und nahe der österreichischen Grenze, er war 20 Jahre als Kunsterzieher tätig und ist seit 1992 freischaffender Künstler. Der Gesamteindruck der Ausstellung ist von Klarheit, Weite und Transparenz bestimmt. Die Raumhöhe und ihre allgemein helle Wirkung lenken die Aufmerksamkeit auf die Exponate und führen in freier Folge durch Kirchmair‘s Themenbereiche. Mit seinen Werken versteht Kirchmair es, seine Informationen vor den Augen des Betrachters zu übermitteln. Er nutzt dabei nicht nur die ordnende Hand eines Perfektionisten, sondern er inszeniert auch. Die Inszenierung ist für ihn ein Mittel, um bildhaft komplexe Sachverhalte zu erläutern. Die Ausstellung wird überwiegend durch Schwarz-Weiß-Kontraste akzentuiert. In der ruhigen Abwicklung von gestalteten Wandflächen mit Kohlzeichnungen und Fotographien sowie mit seinen Zeichnungen und Kleinobjekten auf teils „hochgestellten“ Sockeln mit und ohne Glasvitrine setzt er deutliche Akzente. Die Zwiesprache mit der Natur und Architektur ist für den Künstler Anton Kirchmaier anscheinend unabdingbar. Sie ist Ausgangspunkt seiner ausgestellten Werke. Für ihn sind die Gestaltungskräfte der Erde von gleichnishafter Bedeutung. Sein Ringen um die Einsicht in die geheimnisvollen Wirkkräfte und Naturgesetze führen ihn zu formal ganz verschiedenartigen, in der geistigen Aussage jedoch sehr verwandten Arbeiten. Der Eintritt in die Ausstellung wird von einen fast Schulterhohen weißen horizontalen Balken balancierend auf einen weißen hohen Sockel gehemmt um linksseitig den Kirchraume zu betreten. Als einen Art Fixpunkt arrangiert der Künstler fast mittig im Raum auf einen hohen weißen Sockel seine größte schwarze Skulptur in der Ausstellung, die durch seine Formgebung einen Durchblick wie durch eine Kamera erzeugt und zu den ausgestellten Objekten einen Ausschnitt in die zweite Hälfte des Kirchenschiffes und zur Apsis hin gewährt. In der sehr genialen Präsentation seiner Zeichnungen die auf Sockeln wie Kartenhäuschen stehend oder seiner Druckgraphiken die auf fünf schmalen „Stelen“ mit jeweils 5 Druckgraphiken so aufgebaut sind, dass sie beim Umschreiten wie ein Bilderband wirken, zeigt Kirchmair seinen Sinn für tektonische Klarheit aber auch das Spiel mit Formen, Architektur und Innenraumgestaltung. Die Qualitäten des Raumes erschließen sich am ehesten dem, der sich mit ihm auseinandersetzt und in ihm bewegt. Seine klare, übersichtliche Form und manche auf willkommene „Abgelegenheit“ bieten Ruhe und Konzentration: als offenes Experimentierfeld für den Künstler Anton Kirchmair und in gleicher Weise als Herausforderung für den Betrachter.

In seiner Werkentwicklung hat Kirchmair eine Reihe von Motivgruppen geschaffen, von denen eine jeweils aus der anderen hervorgeht. Er untersucht sie mit behutsamer Geduld auf ihre bildnerische Ergiebigkeit und findet neue Kombinationen. Es entstehen Arbeiten mit unterschiedlichsten künstlerischen Ausdrucksmitteln und Technik jedoch mit gleichen Materialien und ähnlichen Bildinhalten. Die ausgestellten Werke in der Klosterkirche sind eine Weiterführung einer Installation, die Kirchmair 2006 in der Heiliggeistkirche Landshut errichtet hatte. Am letzten Ausstellungstag wurde dort die raumgreifende Rauminstallation aus Buchenholz in kleine Fragmente zersägt und in kleine Kisten mit Kohle- und Zeitungspapier verpackt. Mit diesen Fragmenten er nennt sie „Kiste 38“ und dem Verpackungsmaterial (Fotographien) konzipierte er die „Rauminstallation“ in der Klosterkirche in dem er die zersägten Teile zu neuen interessanten Miniatur-Objekten arrangiert, die wie der Ausstellungstitel involviert „Spitz auf Knopf“ stehen. Kirchmaier ist ein Künstler der sein Material Holz eigenhändig formt. Wie er das tut, hat etwas vom elementaren Umgang mit dem Material Holz und dem Vorgang des Verbrennens, des „Schwarzmachens“ zu tun. Nahezu jeder Griff ist ein gestalterischer Akt zur Erkundung neuer Formgebung. Jeder Schwung setzt Bewegung in Gang, jedes Ausfahren entlädt und jedes Zusammenfügen staut Energie. Die präsentierten Objekte und Skulpturen evozieren die Auflösung von Volumen und Materialität. Er radikalisiert die Überwindung von Masse und Statik. Kirchmairs Arbeiten wurzeln im Spiel mit „Architekturkonstrukten „sowie der konstruktiven Errungenschaft, doch er gewinnt ihr neue Dimensionen ab. Er überwindet die Schwere, lässt sie aber nicht außeracht. Jede Skulptur in der auch vielfach der Sockel mit eingebunden ist hat einen spürbaren Gravitationskern und sichtbaren Stand. Zugleich überspielt der lose Aufbau und die plattenmäßige Auf- und Aneinanderreihung seiner Objekte allen festen Halt. Kirchmair „verankert“ zwar die Objekte und Skulpturen, aber er hemmt nicht ihren Lauf. Jedes skulpturale Werk lässt ihre Bodenhaftung hinter und unter sich. Eine Verbindung von Bauen, Stand, Tanz, Wachstum, Sturz und Flug macht das Wesen seiner präsentierten Arbeiten aus. Wie weitgehend das Thema der formbildenden Schwerkraft und ihrer Gegenkräfte im Werk von Kirchmair bestimmend ist, belegt die sehr professionell aufbereitete Traunsteiner Ausstellung. Das indifferente Gleichgewicht, die Balance, das scheinbare Schweben oder Kippen werden besonders signifikant demonstriert.  Anton Kirchmair ist ein alle Techniken virtuos und mit Kalkül beherrschender, strenger Inszenator der Erfahrung. Die Rücknahme der Skulptur auf ein denkbar klares Konzept ist charakteristisch für seine Exponate. So sind die Arbeiten von einfacher Struktur, Horizontale und Vertikale Balken,  kleine Holzstäbe und teile dünne Holzplatten werden wie Architekturspiele oder –modelle in ein proportionales Verhältnis zueinander gesetzt und so aufeinander, nebeneinander, untereinander, ineinander, seitlich ausladend geschichtet, das sie eine Spannung zwischen Licht und Raum, Fläche und Raum aber auch Volumen, Körperhaften sowie Umriss und Atmosphäre erzeugen. Sie vermitteln Frei- und Lichträume, die verschiedene Gedanken evozieren. Die gezeigten neuartigen Gebilde in strenger Tektonik lassen durch das übereinander Getürmte eine neue Ordnung entstehen.

Zu sehen ist gleichwohl ein kunstvolles Spiel mit den Kräften des Tragens und Lastens. Die den Skulpturen immanente Energie geht von der Balance des Gleichgewichts und der Leichtigkeit des Materials aus und strahlt nach allen Seiten ab. Als Zeichner arbeitet Anton Kirchmair vielfach auch mit Kohle, die wiederrum in enger Verbindung zu seinen Objekten und Skulpturen steht. Der Inhalt der Zeichnung ist kein realer Gegenstand, kein erzählerisches Motiv, es ist vielmehr die Linie, der er seine Aufmerksamkeit schenkt, die gleichsam als Grundelement dienend, in ihren vielfältigen und verschiedenartigen Ausdruckswerten er kontrolliert einsetzt, sei es in Form von geometrischen Reihungen, Bündelungen oder Schraffuren gerade verlaufender oder leicht geschwungener Linien. Seine Zeichnungen erzeugen untereinander spannungsreiche, dynamische Schwingungen die wiederum als lineare Strömungen in bandartigen Verläufen oder Wellenlinien hervortreten. Vielfach bilden die Linien eine komplexe Dichte, die sich aus der großflächigen Gesamtheit entschlüsseln lässt und oftmals einen unbestimmten landschaftlichen Charakter visualisiert. Die präsentieren Kohlezeichnungen mit verschiedenen Schwarz- und  Grauwerten lenken auf die Struktur des Stoffes, auf die innere Gesetzlichkeit des Erdaufbaus. Undeutliches raschelndes Strichwerk, hin gewischte Dunkelflecken, wehende Schleier geben dem Grund Beweglichkeit. Dynamische Bewegung wie ein Signal für das Wirkende, für aktive Naturkräfte, deren Ursprung der Künstler in seinem Erleben nähergekommen ist. In seinen Druckgraphiken überrascht Kirchmair trotz der systematischen und überprüfbaren Durchführung, die Kompaktheit der Struktur der einzelnen Blätter, die jeder individuellen Gestik widersteht und auf jegliche Spontaneität verzichtet, die von der Klarheit des Aufbaus ablenken könnte. Wie Asche bildet sich: Schwarz, Grau mit wenigen Leuchtzeichen. Fast wie ein verbindender Zug legen sich auf der rechten Seite des „Kirchenschiffes“ die 18 originellen Fotographien, die die Wand rhythmisch unterteilt. Als Motive figurieren die Formen der Verpackungen aus Kohle- und Zeitungspapier der „Kiste 38“. Die dienenden Hüllen, die zum Teil noch die Formen ihrer Inhalte zeigen sind in den äußerst ästhetischen und sehr anspruchsvollen Fotographien wieder zu erkennen. Zusätzlich wird durch die Hintergrundgestaltung ein markanter Verfremdungseffekt erreicht. Die Kette des dokumentarischen Materials durchbricht Kirchmair mit der sehr filigran ausgeführten Rahmung. Durch die Hell-Dunkel-Kontrastierung erreicht der Künstler in seinen Fotos eine Dynamisierung der Einzelobjekte, die durch die sensible Aufstellung am Boden und Wand zu einem Ganzen zusammenwachsen und in der Ausstellung einen hohen Erlebniswert schaffen. Gerade den Spannungsbereich zwischen Systematik und dem Abweichen von ihr nach allerdings wiederum systematischen Prinzipien wird in der Ausstellung deutlich veranschaulicht. Darin wird Ordnung nicht als Zwang verstanden, sondern im Gegenteil, sie verspricht größtmögliche Freiheit und Offenheit. Gegensätzliche Kräfte zu entfalten und sie in Balance zu halten, ist das künstlerische Anliegen und Bekenntnis Anton Kirchmairs in der Traunsteiner ARTS-Akzente 2011.

Die äußerst interessante Ausstellung ist bis zum 16. Oktober zu sehen und Dienstag bis Freitag von 15 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 15 Uhr geöffnet.


Gabriele Morgenroth

Diesen Aufsatz erschien in leichten Abwandlungen am 1.11. 2011 unter dem Titel „Spitz auf Knopf“ im Traunsteiner Tagblatt und am 14. Oktober 2011 unter der Überschrift „Gegensätzliche Kräfte in Balance“ im Oberbayerischen Volksblatt in Rosenheim

   Anton Kirchmair                       home             aktuell                      Werk           Ausstellung          Veranstaltung           Ankauf           Vita          Presse         Kontakt